Eine kurze Pause an der frischen Luft zwischen zwei Auftritten endet für Schauspieler Riggan Thompson unversehens in einem hochnotpeinlichen Spießrutenlauf. Der Hintereingang des Broadway-Theaters, in dem der ehemalige Filmstar sein Debüt als Theaterregisseur und Hauptdarsteller gibt, lässt sich leider nicht von außen öffnen. Und dann klemmt auch noch ein Zipfel seines Bademantels in der Tür fest. Riggan muss in wenigen Minuten wieder auf der Bühne stehen. Was tun? Kurz entschlossen streift er den Bademantel ab und sprintet in Unterhosen Richtung Haupteingang. Leider führt der Weg aus der dunklen Gasse hinter dem Theater auf den hell erleuchteten, von Menschen übersäten Times Square. Da Riggan früher als Superhelden-Darsteller äußerst populär war, wird er natürlich schnell erkannt, und flugs werden Kameras und Handys gezückt, um den „Walk of Shame“ des Mimen festzuhalten und via soziale Netzwerke zum Medienereignis zu machen.
Die kleine Szene ist einer der ironischen Höhepunkte von Alejandro González Iñárritus schwarzhumoriger Farce: Riggan, der verzweifelt versucht, durch die Profilierung als ernsthafter Theaterkünstler seinen Karriereknick nach dem Ausstieg aus dem „Birdman“-Filmfranchise wettzumachen, giert nach Aufmerksamkeit und Anerkennung; allerdings schwebt ihm eher eine positive Rezension seiner Adaption einer Raymond-Carver-Geschichte in der New York Times vor, nicht der Internet-Hype, den sein peinlicher Unterhosen-Auftritt auslöst – Facebook & Co. sind die Domäne seiner rebellischen Tochter, die ihrerseits die traditionellen Medien für irrelevant erklärt. Das aber ist nicht der einzige Frust, den Riggan im Zuge seines Theaterprojekts wegstecken muss. Die Zeit vor und während der Premiere ist ein einziges Katastrophenszenario, nicht zuletzt wegen Riggans Spannungen mit Familienmitgliedern, Kollegen und Journalisten. Besonders zu schaffen macht ihm sein arroganter Co-Star Mike, der ständig versucht, sich in den Vordergrund zu spielen. Außerdem bekommt Riggan in kleinen, ins Surreale spielenden Einschüben auch noch Gegenwind von seinem eigenen Superhelden-Alter Ego Birdman, das für Riggans neue Karriereentscheidungen nur Verachtung übrig hat.
Seriöse, traditionsreiche Kunst versus massentaugliche Franchise-Filme, Printmedien versus Internet, hart erarbeiteter Ruhm versus Celebrity-Hype, Egotrip versus Teamarbeit: Iñárritus „Birdman“ ist ein Kultur-Kriegsfilm. Und er ist so inszeniert, dass sich dieser Krieg ganz handgreiflich anfühlt; nicht bloß in der Szene, in der Michael Keaton als Riggan seinen Mitakteur und Konkurrenten Edward Norton mit einer zusammengerollten Zeitung prügelt. Die bewegliche Kamera, die wie in einer einzigen Plansequenz durch die klaustrophobischen Räume und Flure des Theaters und der umliegenden Straßen wandert, geht auf fast übergriffige Weise auf Tuchfühlung mit den Protagonisten, heftet sich aufdringlich an ihre Fersen. Selbst die anderen Figuren, vor allem die Theaterleute, mit denen Riggan zusammenarbeitet, scheinen im Umgang miteinander offensichtlich kein Gespür für so etwas wie „personal space“ zu kennen und rücken sich rücksichtslos-aggressiv permanent auf die Pelle. Dazu hämmert immer wieder harter Percussion-Jazz auf das Geschehen ein.
Neben seiner bestechend-suggestiven Inszenierung zeichnen „Birdman“ ein exzellentes Dialog-Drehbuch und brillante Darsteller aus – allen voran Michael Keaton, dessen Star-Persona als „Ex-Batman“ der Film kongenial nutzt. Auch ohne offensichtliche Schnitte gelingt Iñárritu dabei einmal mehr eine fesselnde, diesmal außerdem noch urkomische Montage verschiedener miteinander verschränkter Schicksale und Figurenperspektiven. So bissig die Satire auf übergroße Egos und Eitelkeiten im Showbiz-Milieu dabei mitunter auch ausfällt, verliert die Inszenierung doch nie den menschlichen Kern der Figuren und ihrer Geschichten aus den Augen: Anders als in David Cronenbergs Hollywood-Farce „Maps to the Stars“
(fd 42 567) verströmen die Protagonisten bei aller Überdrehtheit hier nichts Monströses: den Abgrund des Scheiterns, des Alterns, der Einsamkeit, über dem der ehemalige „Birdman“ Riggan wie ein Ikarus schwebt, fürchten nicht nur die Showbiz-Leute.