Top Girl oder La déformation professionelle

- | Deutschland 2014 | 99 Minuten

Regie: Tatjana Turanskyj

Eine alleinerziehende Mutter kommt als Schauspielerin wirtschaftlich nur schlecht über die Runden und bessert ihre Finanzen als Sex-Arbeiterin bei einem Escort-Service auf. Unter dem Pseudonym „Jacky“ sind ihre darstellerischen Fähigkeiten dabei oft mehr gefordert als vor der Kamera. Der (nach „Eine flexible Frau“, 2010) zweite Teil der „Frauen und Arbeit“-Trilogie von Tatjana Turanskyj kontrastiert den post-feministischen Individualismus seiner Protagonistin mit dem „Old-School-Feminismus“ von deren Mutter, die sich mit den Nebenjob der Tochter nicht anfreunden will. Ein hellsichtiger, über weite Strecken fein ausbalancierter Film, der allerdings kurz vor Schluss in eine böse Satire abgleitet und mit einer Comedy-Pointe endet. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
turanskyj & ahlrichs
Regie
Tatjana Turanskyj
Buch
Tatjana Turanskyj
Kamera
Lotta Kilian
Musik
Niels Lorenz
Schnitt
Stephanie Kloss · Ricarda Zinke
Darsteller
Julia Hummer (Helena/Jacky) · Susanne Bredehöft (Lotte) · RP Kahl (David) · Jojo Pohl (Xenia) · Simon Will (Freddy)
Länge
99 Minuten
Kinostart
15.01.2015
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Im zweiten Teil ihrer geplanten Trilogie über Frauen und Arbeit nimmt Tatjana Turanskyj nach „Die flexible Frau“, fd 40 246, das große Ganze aktueller Geschlechterverhältnisse zwischen Abgründigem und Groteskem in den Blick. Im Mittelpunkt steht die etwa 30-jährige Schauspielerin Helena, die vor der Jahrtausendwende ein Serienstar („Die Mädchenpolizei“) war, jetzt aber kaum mehr Aufträge erhält. Was auch damit zu tun haben kann, dass sich Helena unmissverständlich verweigert, als sie bei einem Casting aufgefordert wird, ein „notgeiles“ Prosecco-Luder zu spielen. Als alleinerziehende Mutter kann man sich solch eine Verweigerung aber nicht allzuoft leisten; deshalb verdient Helena seit Jahren unter dem „nome de plume“ Jacky ihr Geld als Sexarbeiterin bei einem Escort-Service. Wenn sie auf die Wünsche ihrer männlichen Kunden eingeht, ist der Job gar nicht so viel anders als die Schauspielerei: man verbringt viel Zeit mit Warten und wenn es heißt: „Du machst, was ich sage!“, dann schlägt die Stunde der Kreativität. Zum Glück sind die Männer in ihren Wünschen nicht sonderlich einfallsreich: Jacky hat zwar das komplette Repertoire von „A/O“ über Wasserspiele bis „BDSM“ im Angebot, aber zumindest im Film bleibt es bei recht harmlosen Rollenspielen und dem Wunsch: „ganz normal GV und danach noch still daneben liegen“. Turanskyj zeigt Helenas nur scheinbar selbstbestimmten Alltag in jeder Beziehung ziemlich unglamourös zwischen Hausarbeit und Sexarbeit. Anschließend werden in recht engem Zeittakt die Tochter betreut, Betten neu bezogen oder Sex-Spielzeuge gereinigt. Die Ich-AG-Dienstleisterin Jacky scheint mindestens so erschöpft wie die Männer, die ihre Dienste nachfragen. Was darauf hinweisen könnte, dass es hier um mehr geht als um eine Kritik paternalistischer Strukturen, denen es ideologisch gelungen ist, sexuelle Dienstleistungen als „normalen Markt“ zu entwerfen und Sexualität zu ökonomisieren. Es gibt aber auch noch Helenas Mutter, eine freiberufliche Musiklehrerin, die zunächst aus die Position der klassischen Frauenbewegung der selbstgewählten Abhängigkeit ihrer Tochter skeptisch gegenübersteht, bevor sie selbst anfängt, ihre Schamhaare zu rasieren. Zwischen Mutter und Tochter wird ein weiterer Konfliktraum etabliert zwischen Old-School-Feminismus und einem post-feministischen Individualismus, der aus freien Stücken zu den Bedingungen des Neoliberalismus agiert, der – wie die Filmemacherin angemerkt hat – Konsum als gesellschaftliche Teilhabe und Emanzipation verkauft. Dieser Konflikt wird durch den Vortrag einer souverän auftretenden Schönheitschirurgin vertieft, die körperliche Selbstoptimierung durch operative Eingriffe als konsequentes Zuende-Denken feministischer Emanzipationsutopien postuliert: „Ich bestimme mein Alter selbst!“ So fügt sich eins zum anderen und zu einem Bild, das seine Stimmigkeit nur ideologisch behauptet, weil der clever-diskursive Post-Feminismus das Spiel des (erschöpften) Patriarchats mitmacht. Kein Wunder, dass sich der Film als Kammerton A die Haltung bei der Musiklehrerin-Mutter abholt, die ihrem Schüler rät, sich mit einem „Ich habe genug“ locker zu machen. Lange arbeitet die Inszenierung an einem Gleichgewicht zwischen der kühlen und immer etwas müden Professionalität Helenas, zurückhaltend gespielt von Julia Hummer, und der raumgreifenden Exaltiertheit ihrer Mutter, gespielt von Susanne Bredehöft. Kurz vor Schluss scheint „Top Girl …“ dann aber selbst die Geduld verloren zu haben – der Film schlägt um in eine böse Satire, deren Deutlichkeit ärgerlich machen kann. Als ein Freier, seines Zeichens Versicherungsvertreter (RP Kahl bewegt sich gewohnt „cool“ in diesem Setting), Helenas Kreativität für ein ganz besonderes Event abruft, ist sie schnell dabei und liefert vier Kolleginnen gewissermaßen ans Messer. Es ist ein fast surreales Szenario, wenn die Männer nach erfolgreicher Jagd ein einschlägiges Lied anstimmen: eine Comedy-Pointe. Da hilft es dann auch nicht mehr, wenn sich der Film die dialektische Pointe gönnt, Hummer/Helena zum Schluss als Wiedergängerin von Magdalena Montezuma in Ulrike Ottingers „Madame X – Die absolute Herrscherin“ (fd 20 780) zu inszenieren.
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