Obwohl sie schon seit vielen Jahren in London lebt, spricht die Kambodscha-Chinesin Junn kaum ein Wort Englisch. Seit dem Tod ihres Mannes ist ihr Sohn Kai praktisch die einzige Verbindung zur Außenwelt. Doch weil Kai seine Mutter in ein Seniorenheim „abgeschoben“ hat, fürchtet Junn, auch ihn zu verlieren. Verantwortlich dafür macht sie Kais „besten Freund“ und Mitbewohner Richard, der in Wirklichkeit Kais Lebenspartner ist. Immer wieder nimmt sich Kai vor, seiner Mutter die Wahrheit zu sagen, immer wieder verschiebt er es. Dann wird er eines Tages auf dem Weg zu Junn von einem Auto angefahren und stirbt.
Erst jetzt setzt die eigentliche Handlung von Hong Khaous Kinodebüt „Lilting“ ein. Die Vorgeschichte lässt sich nach und nach durch Rückblenden, Tagträume und Gespräche rekonstruieren. Die Frage, für die sich der 39-jährige Khaou, der selbst kambodschanische Wurzeln hat, interessiert, ist aber nicht, wie es zu alldem kommen konnte, sondern, wie es nun weitergeht. Während Junn in einer zärtlichen Romanze mit einem Heimbewohner, dem liebenswerten Schwerenöter Alan, Trost findet, glaubt Richard, die Verantwortung für Junn gewissermaßen von Kai geerbt zu haben. Auch weil er hofft, seine eigene Trauer dadurch besser verarbeiten zu können, sucht er die Nähe zur Mutter seiner großen, so plötzlich verstorbenen Liebe. Um die Sprachbarriere zu überwinden, bittet er seine Freundin Vann, für ihn zu übersetzen. Anfangs weist Junn den Mann, der ihr, wie sie glaubt, den Sohn geraubt hat, noch brüsk zurück, und Vann ist vor allem damit beschäftigt, die Turteleien zwischen Junn und Alan zu dolmetschen. Allmählich aber finden Junn und Richard in ihrer Trauer und Liebe zu Kai eine emotionale Brücke. Doch während sich die beiden mit Hilfe von Vann immer besser verstehen, ohne zunächst noch darüber zu reden, dass Kai und Richard ein Paar waren, wird Junn und Alan schmerzlich bewusst, dass sie einander kaum etwas zu sagen haben.
Klug und unaufdringlich inszeniert Khaou diese doppelte, spiegelbildliche Dynamik von Annäherung und Entfremdung. Die konstruktive und destruktive Kraft der Worte gehen Hand in Hand. Dabei vermittelt der Film keineswegs den Eindruck, Junn und Alan würden mit Hilfe der Dolmetscherin erkennen, dass sie nicht zueinander passen. Vielmehr scheint es eher so, dass die gesprochenen Worte und Sätze die so wunderbar ausbalancierte Harmonie zwischen den beiden aus dem Gleichgewicht bringen. Es ist die große Stärke von Khaous Drehbuch, dass es alle Figuren gleichermaßen respektiert, auch wenn sie dramaturgisch eher eine Nebenrolle spielen. Mehr als vier Figuren sind das ohnehin nicht. Und weil die Inszenierung im Grunde lediglich zwischen zwei Schauplätzen – dem Altenheim und der Wohnung von Richard und Kai – hin und her wechselt, zieht das intensive, aber nie bleischwere Kammerspiel seine Kraft aus der Zeichnung und Darstellung der Charaktere. Ben Whishaw interpretiert den trauernden Richard melancholisch, feinfühlig und zugleich mit einer wohldosierten Prise Humor und Lausbubencharme. Und Cheng Pei Pei, die sich einst als Actionheldin in Martial-Arts-Filmen einen Namen machte, nimmt man die starke, ruppige, aber auch empfindliche und warmherzige alte Dame jederzeit ab. Die eng gerahmten Bilder, die sich mechanisch an die Gesichter der Darsteller heransaugen und die schulmäßige Schnitt-Gegenschnitt-Montage werden dem nuancierten Schauspiel, den authentischen und oft erstaunlich witzigen Dialogen dagegen kaum gerecht. Trotzdem: ein verheißungsvolles Debüt.