Al doilea joc - The Second Game

Dokumentarfilm | Rumänien 2014 | 97 Minuten

Regie: Corneliu Porumboiu

Der Regisseur Corneliu Porumboiu schaut sich gemeinsam mit seinem Vater ein Spitzenspiel der rumänischen Fußballliga aus dem Jahr 1988 an, das der Vater als Schiedsrichter leitete. In Echtzeit kommentieren sie die Ereignisse des von starkem Schneefall beeinflussten Sportgeschehens, wobei es indirekt sehr bald auch um Einschätzungen der politischen Ereignisse ein Jahr vor dem Sturz des Ceaușescu-Regimes geht. Das spannende Filmexperiment macht in der minimalistischen Verknüpfung der Ebenen grundlegende Strukturen der damaligen Verhältnisse sichtbar. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
AL DOILEA JOC
Produktionsland
Rumänien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
42 km Film
Regie
Corneliu Porumboiu
Buch
Corneliu Porumboiu
Musik
Max Richter
Länge
97 Minuten
Kinostart
04.12.2014
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Experimentalfilm
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Diskussion
Ein minimalistisches, aber hoch interessantes Filmexperiment. Eine Archivaufnahme minderer Qualität dokumentiert ein Spitzenspiel der rumänischen Fußballliga aus dem Winter 1988. Das Derby zwischen Steaua Bukarest und Dinamo Bukarest stand ganz im Zeichen starken Schneefallsund passte sich den widrigen Platzverhältnissen schnell an: Es regiert in allen Belangen der Zufall; ein Spiel kam kaum zustande. Trotzdem wird dem Zuschauer keine einzige Minuten des trostlosen Geschehens erspart – und „Al Doilea Joc – The Second Game“ dennoch von Minute zu Minute spannender. Denn aus dem Off hört man zwei Stimmen: die eine gehört dem Filmemacher Corneliu Porumboius (Jahrgang 1975), die andere Stimme seinem Vater Adrian Porumboiu (Jahrgang 1950), der damals als Schiedsrichter dieses Spiel leitete. Jetzt sehen Vater und Sohn gemeinsam in Echtzeit die Aufzeichnung an und sprechen über das, was sie sehen. Und über das, was nicht zu sehen ist. Schicht um Schicht wird den grisseligen Bildern ihre Indifferenz ausgetrieben. „Diese alten Spiele interessieren doch keinen mehr“, sagt Adrian Porumboiu an einer Stelle und fährt verallgemeinernd fort: „Mit dem Fußball ist es wie mit allem anderen. Auch beim Film oder in der Kunst gibt es diese großen Momente, die jedoch vorübergehen. Das hier ist einfach nur ein Dinamo-Steaua-Spiel im Schnee.“ Andererseits hatte der Filmemacher auf die Bemerkung des Vaters, aus diesem Material ließe sich gewiss kein Film machen, nur lakonisch „Mal sehen“ geantwortet. Dazu wissen muss man, dass die beiden Bukarester Fußballvereine Dinamo und Steaua zwei konkurrierende Macht-Blöcke innerhalb des rumänischen Staates repräsentierten. Dinamo ist die Mannschaft der Securitate, Steaua die der Armee. Das Derby war also mehr als ein Prestigeduell, eher ein verdeckter Machtkampf. Im Jahr zuvor musste das Spiel der beiden Mannschaften nach Tätlichkeiten auf dem Platz abgebrochen werden. Steaua zehrt noch vom Ruhm, in der Saison 1985/86 den Europapokal der Landesmeister gewonnen zu haben; auf dem Platz stehen 1988 zudem eine Reihe von Spielern, die in den 1990er-Jahren zur „Goldenen Generation“ des rumänischen Fußballs gerechnet werden. Die Liga selbst wurde in jenen Jahren offenbar konsequent manipuliert – und Schiedsrichter nach Möglichkeit unter Druck gesetzt. Wenn das Spiel auf dem Platz unsportlich wurde, zeigte das Fernsehen mit einer extra dafür aufgestellten Kamera lieber Bilder aus den friedlichen Zuschauerränge. So wird man Zeuge einer wüsten Bolzerei von kaum kaschierter Aggressivität, wobei die dritte zensierende Kamera im Spielverlauf gelegentlich etwas später eingesetzt wird, so dass man studieren kann, wie übermotiviert die Spieler zur Sache gehen, wenn die Tore etwas weiter weg sind. Vor den Toren herrscht hingegen eine Mischung aus Zufall, Ideenarmut und eine gewisse Lustlosigkeit aufs Toreschießen. Das Spiel endet schließlich nach hartem Kampf wie das Hornberger Schießen Null zu Null. Womit alle Beteiligten gut leben können. Doch „Al Doilea Joc – The Second Game“ besitzt noch eine andere, verdeckte Ebene: das Gespräch zwischen Vater und Sohn, dessen Intention ungeklärt bleibt, das sich im Laufe der Filmzeit aber wandelt. Adrian Porumboiu fungiert hier zunächst als Zeitzeuge, der über die Hintergründe des Spiels aufklärt und sich selbst dabei in ein gutes Licht rückt. Alles ist korrupt, aber er selbst habe sehr früh und mutig klargemacht, dass er nicht manipulierbar sei. Vor den Filmbildern berichtet der Filmemacher von Telefonaten, die den Sohn vor den Konsequenzen eines „schlechten Pfeifens“ des Vaters warnten. Jetzt lässt sich der Sohn vom Vater das Spiel erklären und stößt immer wieder auf Momente sehr freier Regelauslegung, die der Vater im Hinblick auf den Spielfluss oder die nicht-strafende Funktion des Schiedsrichters begründet. Porumboiu war ein Schiedsrichter, der von der UEFA auch international eingesetzt wurde („Mein Maßstab ist das internationale Niveau“), aber an diesem Tag lässt er den Spielern so einiges durchgehen. Fouls werden nicht gepfiffen, trotz Verletzungen läuft das Spiel weiter, die Mannschaft von Dinamo läuft zur zweiten Halbzeit sogar mit einem anderen Trikot auf. Der Vater wiegelt ab: „Das war nicht erlaubt, aber wir hatten andere Sorgen!“ Je länger man dem Treiben zuschaut, desto deutlich wird, worauf sich der Filmtitel „Das zweite Spiel“ beziehen könnte. Der Schiedsrichter ist unter den gegebenen Umständen gezwungen, in jeder Situation mögliche Konsequenzen seines Handelns zu antizipieren und entsprechend zu handeln. Man ist Zeuge eines großen Lavierens aller Beteiligten unter erschwerten Bedingungen, denn die Platzverhältnisse öffnen dem (unerwünschten) Zufall Tür und Tor. So sind Freistoßentscheidungen aus guter Position ebenso zu vermeiden wie Platzverweise. Einmal begründet der ehemalige Schiedsrichter eine offenkundige Fehlentscheidung damit, dass „kein Täuschungsmanöver“ vorgelegen habe, obwohl sich doch das ganze Spiel mitsamt der souveränen Schiedsrichterleistung als sehr fragile Inszenierung erweist. Während der Vater die Geschichte gerne abhaken möchte und philosophiert: „Fußball ist kein zeitloses Thema, sondern eine verderbliche Ware, die im Hier und Jetzt konsumiert wird“, beweist ihm sein Sohn mit Archivmaterial das Gegenteil. Ein Jahr später funktionierte die Inszenierung nicht mehr, und eine nie ganz geklärte „Revolution“ stürzte das Regime Ceausescus. Im Mai 1989 verlor Steaua Bukarest das Finale des Europapokals der Landesmeister gegen den AC Mailand deutlich mit Null zu Vier; nach der Weltmeisterschaft 1990 wechselte Gheorghe Hagi, der „Balkan-Maradona“, zu Real Madrid.
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