Israel Horovitz hat für „My Old Lady“ sein eigenes Bühnenstück adaptiert, inszeniert und als ausführender Produzent betreut. Das ist für einen Spielfilmdebütanten eine beträchtliche Machtfülle. Doch so wie Horovitz als Dramatiker weitaus rühriger ist denn als Drehbuchautor oder gar Regisseur – von ihm stammen das Skript zu István Szabós „Ein Hauch von Sonnenschein“
(fd 34 063) und der Dokumentarfilm „3 Weeks After Paradise“ (2002), so obliegt es auch in seiner aktuellen Arbeit primär den Darstellern, die Handlung mit Leben zu füllen. Arg viel mehrwerträchtigere oder originellere Einfälle als gelegentliche Postkartenbilder von der Île de la Cité mit der Notre-Dame-Kirche hat Horovitz in seinen Paris-Film nicht eingebracht.
So klischeehaft und vorhersehbar hätte sich wohl auch Mathias Gold seinen Trip in die Stadt an der Seine gerne vorgestellt. Sein Vater hat ihm ein großes Apartment hinterlassen, das im sündhaft teuren Paris sicherlich eine Goldgrube ist; der mittellose New Yorker ist deshalb mit wenig mehr als der Kleidung am Leib in ein neues Leben aufgebrochen. Doch vor Ort begrüßen ihn die 92-jährige Mathilde – und neue Schulden. Mathilde hat, dies ist eine Eigenart des französischen Immobilienrechts, ihre Wohnung günstig an Mathias’ Vater verkauft und dafür Wohnrecht auf Lebenszeit und eine stattliche Leibrente in den Vertrag geschrieben.
Diese Konstellation sorgt für Spannungen, zumal auch noch Mathildes Tochter Chloé bei ihr wohnt, die Mathias’ Plan, seine Erbschaft sogleich zu verscherbeln, noch etwas klarer durchblickt als ihre Mutter. Um eine solche Gemengelage, in der Traditionsbewusstsein auf die Suche nach dem schnellen Geld trifft und jugendliche Rücksichtslosigkeit auf die – scheinbare Naivität – des Alters, hat Horovitz die Vergangenheiten der Figuren auf gefühlsquetscherische Art ineinander gewunden. So manövriert er sich leidlich hindurch zwischen den Stereotypen der Zusammenraufkomödie und dem Kitsch des schicksalsraunenden Melodrams. Er hüpft zwischen zutiefst düsteren und hellen Momenten hin und her und trifft dabei irgendwie doch fast immer den richtigen Ton.
Kevin Kline, Kristin Scott Thomas und Maggie Smith spielen mit genau der richtigen Menge Understatement, um die aufgewühlten Gefühle nicht ins Karikaturenhafte entgleisen zu lassen. Smith, vom Drehbuch arg vergreist und gleichzeitig mit dem womöglich wachsten Geist von allen ausgestattet, versteckt hinter ihrer gebückten Gestalt die seltsam unschuldige Autorität einer Spielleiterin, die den jungen Leuten um sich herum allmählich alle Karten aufdeckt – freilich ohne die schlimmste davon zu kennen, die Mathias Gold in seiner Hand verbirgt.
Dennoch bleiben die Emotionen seltsam lauwarm, die Distanz zu den Figuren auf der Leinwand ist schwer überbrückbar. Dies liegt vor allem an der etwas schlingernden Dramaturgie, die den eigentlichen Höhepunkt seltsam antiklimaktisch positioniert und einen anderen nachschiebt, der im Kino nie und nimmer so wirksam ist wie etwa auf der Bühne. Die Beteiligten hätten es beinahe geschafft, eine sperrig konstruierte Szenenfolge zu einer atmenden, lachenden, blutenden Erzählung zu machen. Aber eben nur beinahe.