„Strand der Zukunft“, heißt der Titel, der zugleich den ersten wichtigen Schauplatz benennt. An diesem brasilianischen Küstenstrich sieht das Meer einladend aus, ist aber tückisch. Gleich in der ersten Sequenz, die als pures Bewegungskino beginnt, bekommt das ein deutscher Tourist zu spüren, der in den Fluten ertrinkt. Der brasilianische Rettungsschwimmer Donato, der den jungen Mann nicht retten konnte, überbringt die Todesnachricht an Konrad, den Freund des Verstorbenen. Schon bei dieser ersten Begegnung fühlen sich die beiden Männer, den tragischen Umständen zum Trotz, voneinander angezogen. Während der folgenden Tage, in denen im Meer nach dem Leichnam des Ertrunkenen gesucht wird, lernen sie sich näher kennen. Sie haben Sex miteinander und verlieben sich. Doch Konrad will zurück nach Berlin. Donato beschließt, den Geliebten zu begleiten. Eine Entscheidung, die nicht leicht ist und nicht nur für ihn Folgen hat: Er lässt seine Mutter und seinen zehnjährigen Bruder Ayrton zurück, der zu seinem großen Bruder wie zu einem Helden aufschaut. Jahre später reist Ayrton ihm nach Berlin nach, um den Älteren mit der Trauer und der Wut über dieses plötzliche Verschwinden zu konfrontieren.
Auch wenn diese crosskulturelle Liebes- und Brüdergeschichte zwei Kontinente überbrückt, geht es Regisseur Karim Aïnouz nicht primär um die Erfahrung eines „Clash of Culture“ oder um kulturelle Fremdheit. Die unterschiedliche Herkunft scheint in der Beziehung von Konrad und Donato keine Barriere darzustellen. Als Donato um der Liebe willen nach Berlin kommt und sich dort einzuleben versucht, spürt man durchaus sein Verlorensein in einer unbekannten Stadt, doch macht die Inszenierung daraus kein Drama über kulturelle Spannungen oder Missverständnisse. Sowohl Donato als auch Konrad werden als Vertreter einer welt- und sprachgewandten „Thirtysomething“-Generation gezeichnet, der ihre persönliche Entfaltung wichtiger ist als das Verwurzeltsein an einem bestimmten Ort; Berlin erscheint dabei als multikulturelle Metropole, in der alle irgendwie heimisch und fremd zugleich sind. Auch in der Inszenierung der Liebesgeschichte versagt sich der Regisseur nahezu allen dramatischen Zuspitzungen: Wie diese Liebe letztendlich scheitert, spart er einfach aus und konfrontiert die Zuschauer nach einem Zeitsprung schlicht mit der Tatsache, dass die beiden kein Paar mehr sind, wenn Ayrton nach Deutschland kommt. Die Geschichte wird nicht als psychologisches Drama inszeniert, erscheint mehr lyrisch als narrativ. Die in drei größere Kapitel unterteilten Szenen sind elliptisch gereiht. Dabei fallen häufig ausgerechnet die „Bindeglieder“ weg, Szenen also, die Zusammenhänge erläutern und Entwicklungen oder Entscheidungen motivieren könnten; wichtige Wende-punkte werden ausgespart, scheinbar Nebensächliches wird mit großer Ruhe ausgestaltet. Diese „unterspielende“ Dramaturgie macht es nicht ganz leicht, Zugang zu den Figuren und ihren Gefühlswelten zu finden. Es gelingt dem Film jedoch, die Rätselhaftigkeit der Figuren so reizvoll zu gestalten, dass man ihren Wegen gebannt folgt. Einen entscheidenden Anteil hat daran das Verhältnis der Figuren zum Raum: Mehr als durch ihre spärlichen Dialoge definieren sich Konrad, Donato und Ayrton nämlich durch ihre Art, sich zu bewegen, mit Meer und Strand, mit Zimmern, Straßen und der Stadtarchitektur zu interagieren oder körperlich aufeinander zu reagieren. Auch wenn der Film mit sehr lauter Musik beginnt und endet, ist er ein eher leiser Versuch über die Spannung zwischen der Liebe und der Freiheit. Eine sinnliche Choreografie der Körper, die mal größtmögliche Nähe suchen, dann wieder in den Raum hinausstreben.