Song From the Forest

Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 97 Minuten

Regie: Michael Obert

Ein US-amerikanischer Musik-Ethnologe, der fast drei Jahrzehnte bei den Bayaka-Pygmäen in Zentralafrika verbracht hat, reist mit seinem 13-jährigen indigenen Sohn in die USA, um ihm die Welt der Weißen zu zeigen. Ein kontemplativer Dokumentarfilm über eine außergewöhnliche Begegnung zwischen Dschungel und westlichem Leben, der die eigene Hemisphäre im Spiegel des Fremden betrachten lässt. Auch akustisch gewinnt der Film durch die Verschränkung der polyphonen Busch-Gesänge mit einem vierstimmigen Renaissance-Requiem eine spirituelle Offenheit, die an die Grenzen von Raum und Zeit führen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Tondowski Films and Friends/ma.ja.de filmprod./WDR
Regie
Michael Obert
Buch
Michael Obert
Kamera
Siri Klug
Schnitt
Wiebke Grundler
Länge
97 Minuten
Kinostart
11.09.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Mitte der 1980er-Jahre hörte der Musik-Ethnologe Louis Sarno (Jahrgang 1954) erstmals die eigentümlichen, polyphon-hypnotischen Gesänge der Bayaka-Pygmäen, die ihn magisch anzogen. Ausgerüstet mit einem Aufnahmegerät und 500 US-Dollar reist Sarno in die Zentralafrikanische Republik, um sich vor Ort mit der mysteriösen Musik aus-einander zu setzen. Die Reise zu den Bayaka wurde für Sarno zu seinem ganz privaten »Walden«-Erlebnis, denn der Musikologe beschloss, sein Leben fortan mit seinem Studienobjekt in den Wäldern zu verbringen. Sehr selten reiste er in sein altes Leben zurück, wo gute Freunde wie der Filmemacher Jim Jarmusch noch heute über die Radikalität von Sarnos Lebensentwurf staunen. Gleich zu Beginn seines Filmdebüts macht der Reporter und Reiseschriftsteller Michael Obert mit ein paar Einstellungen und Tönen klar, welche Faszination vom Regenwald ausgeht, wenn er mit einer Kamerafahrt das Surren und Summen mit den Gesängen der Bayaka mischt und dann die »Messe von vier Stimmen« des Renaissance-Komponisten William Byrd dazu erklingen lässt – ein echter Werner-Herzog-Effekt. Dazu erzählt Sarno, wie es ihm nach einiger Zeit gelungen ist, das Vertrauen der Bayaka so weit zu erlangen, dass sie ihn bei sich auf- und als Gast auf ihre Waldgänge mitnahmen. Sarno lernte die Bayaka-Sprache, heiratete eine Bayaka und bekam einen Sohn namens Samedi, dem er angesichts einer schweren Erkrankung versprach, ihn, wenn die Zeit reif sei, auch die väterliche Welt zu zeigen. Trotzdem, daran lässt der Film keinen Zweifel, ist Sarno immer noch ein Außenseiter in der Gemeinschaft der Bayaka. Obert mischt Alltagsimpressionen vom Leben im Regenwald mit Impressionen einer Reise in die USA, in deren Verlauf neben Jarmusch auch ein Bruder Sarnos und eine frühere Lebensgefährtin zu Wort kommen. Als die Reise beginnt, ist Samedi 13 Jahre alt und damit in einem Alter, in dem er bei den Bayaka heiraten könnte. Insofern hat die Reise in die USA auch etwas von einem Initiationsritus, zumal Samedi von seinem Vater Geschenke für die Rückkehr einfordert, die für einen Mann im Regenwald nützlich sind. Immer wieder kreist der Film, fast nebenbei, um die prinzipielle Einsamkeit Sarnos, der in beiden Welten ein Fremder zu sein scheint – und dabei wider Willen auch Zeuge des allmählichen Untergangs einer alten Kultur wurde. Sarno hat mehr als 1000 Stunden der Gesänge und Rhythmen der Bayaka archiviert, aber vieles von dem, was er dokumentiert hat, ist für den Alltag bereits verloren. Zudem ist der Lebensraum der Bayaka durch Abholzung und Raubbau bedroht: Der Wald ist krank, liefert kaum noch Nahrung und stellt uralte, überlieferte Riten existenziell in Frage. Man kann sich auch nicht des Eindrucks erwehren, dass Samedi den US-amerikanischen Lifestyle, den er kurz kennenlernen darf, nicht als so entfremdet k erfährt und bewertet, wie es sein Vater tat und noch immer tut. Im Verlauf der Reise sieht man den seit langem schwer kranken Sarno einmal in einer stummen Aufnahme aus dem Fenster auf die Stadt blicken; im Regenwald sieht man ihm beim Radiohören zu. Einmal erzählt er, dass er so lange im Dschungel unterwegs war, dass er den Untergang der UdSSR verpasst und davon nur aus dem Äther erfahren habe. Insofern hat »Song of the Forest« etwas von einer Elegie, denn einst werden von der Kultur der Bayaka und auch von der Existenz von Louis Sarno nur noch die Bänder zeugen, die Gesänge konservieren, die dann keiner mehr singen können wird. Ist der Aussteiger Louis Sarno letztlich ein Romantiker?
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