Unter dem Titel „No Turning Back“ kommt der zweite Film von Steven Knight ins Kino. Im Original heißt er „Locke“, was auf den Namen des Protagonisten, Ivan Locke, verweist. Gleichzeitig klingt das Verb „to lock“ bzw. das Adverb/Adjektiv, „locked“ an, was soviel wie „eingeschlossen, eingesperrt“, übertragen auch „festgefahren“ bedeutet. Das ist ein genialer Titel für einen Film, der sich als Road Movie der steten Bewegung verschreibt, während sein Protagonist fast die ganze Zeit über hinter dem Steuer seines Autos sitzt und somit eingesperrt ist. Dass sich dieses Szenario figurenpsychologisch hübsch als die irrwitzige Fahrt eines in seiner eigenen Welt gefangenen Mannes in ein nicht unbedingt besseres, sicher aber anderes Leben deuten lässt, soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Wohl aber muss der Verdruss über die widersinnige Titeländerung notiert werden: „No Turning Back“ verpasst der Geschichte eine Unausweichlichkeit, die sie gar nicht hat. Indem er das Ende vorwegzunehmen scheint, betrügt er den Zuschauer überdies um das eigentliche Vergnügen der Rezeption, das hier darin besteht, dass man unvoreingenommen neugierig miterlebt, wie sich das Leben des Protagonisten nach einer abrupt getroffenen Entscheidung innerhalb von eineinhalb Stunden permanent radikal verändert.
Der Film beginnt auf einer riesigen Baustelle in Birmingham, die Ivan Locke (Tom Hardy) am Abend verlässt. Er zieht die Gummistiefel aus, steigt ins Auto: einen schicken BMW mit modernstem Komfort; offensichtlich ist Locke gut situiert, Ingenieur und Bauleiter von Beruf. Er fährt los, die nächste Ampel steht auf Rot. Lockes Richtungsanzeiger blinkt links. Die Ampel zeigt Grün, Locke zögert. Der LKW hinter ihm hupt, Locke legt den Blinker um, biegt rechts ab, „London“ steht auf den Wegweisern. Es ist dies, wortwörtlich, der Wendepunkt in Lockes Leben. Locke, so erfährt man in den folgenden eineinhalb Stunden, hat zwei Söhne und eine Gattin. Ein gemütlicher Familienfernsehabend mit Fussball steht an. Morgen ist auf der Baustelle ein wichtiger Tag: 218 LKWs liefern 345 Tonnen Beton an, Europas größter, nichtmilitärischer oder für ein AKW erstellter Betongussbau wird aus dem Boden gestampft.
Lockes Bosse sitzen in den USA. Sein direkter Vorgesetzter Gareth lebt in England. Wie alle anderen Figuren außer Locke ist er in diesem Film zwar zu hören, aber nie zu sehen. In Lockes Autotelefon taucht er unter „Bastard“ auf; „Home“ steht da auch, ebenso „Bethan“. An sie geht Lockes erster Anruf. „Ich bin unterwegs, werde in etwa eineinhalb Stunden bei Dir sein“, spricht Locke auf ihre Combox. Ob er sie liebe, wird Bethan später fragen. Er wird sich ihre Frage verbitten. Das Kind, das sie gebiert, ist Frucht eines One-Night-Stands. Wein, Bethans Traurigkeit und seine Einsamkeit waren damals im Spiel. Locke hatte danach keine Sekunde daran gedacht, sein Leben zu ändern oder seiner Frau etwas davon zu erzählen. Doch nun kommt sein drittes Kind zur Welt, und Locke will ihm Vater sein wie den anderen.
„No Turning Back“ ist ein großartig komponiertes, packendes und fatales Ein-Personen-Drama. Es lebt von seinen sensationell guten, aus der Feder des Regisseurs stammenden Dialogen, dargeboten in zahllosen Telefonaten und Selbstgesprächen, um während der nahezu in Echtzeit gefilmten Fahrt nach London sein Leben neu zu regeln. Zum anderen lebt der Film von seinem Hauptdarsteller, Tom Hardy, der mit bärigem Charme in einer schauspielerisch sensationellen Parforce-Tour einen Mann spielt, der für sein Handeln einen einzigen Grund nennt: Er will das Richtige tun.