Bei genauerem Nachdenken verwundert es, dass die Geschichte von Noah bislang noch nie verfilmt wurde. Im Gedächtnis bleibt nur John Hustons Auftritt im von ihm selbst inszenierten episodischen Monumentalfilm „Die Bibel“ (1966). Die Lücke überrascht, da der biblische Stoff doch nahezu alles bietet, was das große Publikum anspricht: Schauwerte, ein apokalyptischer Weltuntergang, eine starke Heldenfigur und eine klare moralische Botschaft. Einzige Wermutstropfen: Der Ausgang der Geschichte ist bekannt, und das Figurenpersonal ist weitaus begrenzter als im ähnlich gelagerten Fall der Geschichte der „Titanic“.
Dies mögen auch die Überlegungen von Darren Aronofsky gewesen sein, der die Geschichte von Noah und der Arche angeblich schon seit seinem Filmstudium verfilmen wollte. Auch wenn ein monumentaler Kostümfilm aus vorgeschichtlicher Zeit auf den ersten Blick kaum eine naheliegende Wahl für diesen Regisseur gewesen sein mag, fügt sich der fertige Film doch überraschend gut in dessen bisheriges Werk: Ein zeitloser kosmischer Schöpfungsmythos wie „The Fountain“
(fd 37 986), überbordende, wilde, mitunter psychodelische Bilder für innere Erlebnisse wie in „Requiem for a Dream“
(fd 35 117), ein Held, der seine besten Tage schon hinter sich hat und ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein scheint wie in „The Wrestler“
(fd 39 162), eine esoterisch grundierte, sture Paranoia wie in „Pi“
(fd 33 608) oder „Black Swan“
(fd 40 279) – eigentlich passt „Noah“ recht gut zu Aronofsky, der stärker inhaltlich orientiert ist als stilistisch und der in seiner Arbeit eine Ernsthaftigkeit und Detailbesessenheit an den Tag legt, die aktuell in Hollywood sehr ungewöhnlich ist.
Das Ergebnis kann trotz aller Anstrengung allenfalls teilweise überzeugen. Die große Stärke von „Noah“ liegt in seiner Bilderkraft. Die klotzige, in ihrer Form so gar nicht einem Schiff, sondern eher einem Riesencontainer ähnelnde Arche auf einem Ozean ohne Küsten prägt sich ebenso ein wie göttliche Wunder, bei denen eine Wüste in Sekunden in einen blühenden Regenwald verwandelt wird, oder das viele Minuten dauernde Anschwellen der Sintflut. Ohne die Mittel und den exzessiven Gebrauch modernster Computertechniken wäre dieser Film nicht möglich. Damit er nicht nach wenigen Minuten vorüber ist, dehnt die Handlung die biblische Vorlage aus und widmet sich ausführlich ihrer Vorgeschichte: Noahs Abstammung von Set, dem dritten, besonders gottesfürchtigen Sohn Adam und Evas, wird vergleichsweise schnell und konventionell erzählt; wenn die Noah-Figur jedoch psychologisiert und dessen „Urerlebnis“, die Ermordung seines Vaters durch die Nachkommen von Kain, geschildert wird, begibt sich das Drehbuch auf unbekanntes, spekulatives Gelände: Aronofsky erweitert die biblische Handlung, indem er sie modernisiert, interpretiert und umschreibt. So ersinnt er einen über Generationen währenden Grundkonflikt zwischen dem „Stamm Kains“, der sündhaft lebt, was sich vor allem darin zeigt, dass dessen Angehörige Jäger und Fleischesser sind. Die unschuldigen Nachfahren Sets sind hingegen gottesfürchtige Sammler, Pazifisten und Vegetarier. Mehrfach erklärt Noah seinen etwas Überzeugungsarbeit brauchenden Söhnen, dass sie die Blumen doch stehen lassen sollen, schließlich seien auch diese Geschöpfe Gottes: „Wir sammeln nur, was wir brauchen.“
Aronofsky grundiert die vorgeschichtliche Handlung mit überaus aktuellen politischen Botschaften: Vegetarismus und ökologischer Puritanismus sind die zentralen Gebote des Films. Eine als Liebe zu Natur und zum Ursprünglichen verbrämte Stadtfeindschaft („Vor uns liegen Städte. Davon halten wir uns fern.“) und ein grundsätzlicher Kulturpessimismus durchziehen den Film, der Partei fürs Primitive ergreift und mit der Sintflut sympathisiert, die als moralischer Säuberungsakt verstanden wird: Wer sündigt, sagt er echt unverblümt, hat den Tod verdient. Selbst die Technik ist nicht Noahs Sache. Dass er die Arche dennoch bauen und schwimmfähig machen kann, verdankt er der übermenschlichen Hilfe der „Wächter“. Diese Gestalten entlehnt Aronofsky aus den Apokryphen: gefallene Engel, deren Rebellion gegen Gott bestraft wird.
Der Gipfel von Aronofskys „Umschreibung“ der Noah-Geschichte ist jedoch dessen Plan zur Ausrottung der Menschheit, die in seinen Augen dem Planeten genug Unheil angetan hat. Auch wenn in der Bibel noch von den „Frauen seiner Söhne“ die Rede ist, gibt es deren hier nur eine – die von Noah bewusst wegen ihrer Unfruchtbarkeit gewählte Ila. „Wir werden unsere Aufgabe erfüllen, und dann sterben“, lautet Noahs Plan; und als Ila durch eine Art göttliches Wunder Zwillinge gebiert, will er diese töten. Die Achtung vor der Natur paart sich in dieser Filmfigur mit einem gewalttätigen moralischen Rigorismus. Aronofskys „Noah“ ist ein über weite Strecken moralisierender Film, der eine ästhetisch wie ethisch schwer erträgliche Heldenfigur präsentiert: einen Rechthaber, Kontrollfreak und harten Übervater, der Frau und Kinder kommandiert, sich in der Art eines Sektenführers in jeden Lebensbereich seiner Mitmenschen einmischt und dessen Dialogsätze wie eine fundamentalistische Predigt klingen: „Die Zeit der Sünde ist vorbei. Nun kommt die Zeit der Bestrafung.“ Unterlegt mit Musik, die ethnopluralistisch und kosmisch klingen soll, entfaltet sich ein gänzlich humorfreier Film, der, immerhin, eindrucksvolle Bilder bietet.