Die Rock- und Popgeschichte ist reich an Fußnoten und Anekdoten, die darauf warten, erzählt zu werden. Man muss nur einmal genauer hinsehen und -hören. Nach den Erfolgen der erstaunlichen Musikdokumentationen über die Working Band des „Motown“-Labels („Standing in the Shadows of Motown“) oder die Spurensuche nach Sixto Rodriguez („Searching for Sugar Man“) war es nur eine Frage der Zeit, bis diejenigen ins Rampenlicht gerückt würden, die sprichwörtlich in der zweiten Reihe agieren: die Backgroundsänger und –sängerinnen.
Deren Bedeutung für die Chemie eines Hits stellt der Film gleich zu Beginn klar, wenn Lou Reed die einschlägigen Worte „... and the coloured girls go ,doo doodoo ...‘ singt und die „coloured girls“ genau das dann auch tun. Und so rückt der Filmemacher Morgan Neville, der sich schon früher als großartiger Erzähler nostalgischer Geschichten erwiesen hat, die unglaublichsten Sängerinnen und Sänger ins Bild, von denen man „noch nie“ gehört hat, um sogleich klarzustellen, dass dem nicht so ist. Denn natürlich sind die ausgewählten Sängerinnen (und Sänger wie Luther Vandross) wie Darlene Love, Merry Clayton, Lisa Fischer, Claudia Lennear oder Judith Hill so prominent, dass sich mit ihnen eine – mit viel exquisitem Footage-Material angereicherte – „oral history“ der Pop-Musik erzählen lässt, garniert mit Auftritten von Stevie Wonder, Bruce Springsteen, Mick Jagger und Sting, die sich allesamt als absolute Fans ihrer Backgroundsänger erweisen.
In „20 Feet from Stardom“ wird einiges an Material und an Thesen und Einfällen zusammengetragen, um einen leichtgewichtigen und unterhaltsamen Ausflug in die Pop-Geschichte zu unternehmen, die nicht in den Ruch von „Cultural Studies“-Seriosität geraten soll. Weshalb ausgerechnet der „Boss“ Springsteen hier den Pop-Theoretiker geben muss, um zu behaupten, dass der Schritt vom Background ins Rampenlicht ein konzeptueller sei, der nichts mit Talent und Musikalität zu tun habe.
Tatsächlich aber haben alle Porträtierten im Laufe ihrer langen Karrieren einmal versucht, sich als Solisten zu entwerfen – und sind aus unterschiedlichsten Gründen gescheitert. Oder auch wieder nicht, denn immerhin fand sich in den Archiven hinreichend Material, um ihre „Karrieren“ fast lückenlos zu rekonstruieren. So erleben wir den Aufstieg der Sängerinnen „The Blossoms“, die sich ab Mitte der 1950er-Jahre als körperbetonte Alternative zu den weißen Backgroundsängerinnen verstanden, die sie schnippisch als blutarme „Readers“ charakterisieren, verstanden. Die afro-amerikanischen Backgroundsängerinnen konnten dabei auf ihre Gospel- und Spiritual-Erfahrungen bauen, was sie allerdings nicht davor bewahrte, wahlweise von Phil Spector oder Ike Turner ausgebeutet zu werden.
Je schwärzer die Pop-Musik wurde, desto wichtiger wurden die Backgroundsänger für die weißen Pop-Stars. Merry Clayton veredelt „Gimme Shelter“ der Rolling Stones und ist auch – Ironie der Geschichte! – auf „Sweet Home Alabama“ von Lynyrd Skynyrd zu hören, Luther Vandross auf David Bowies „Young Americans“ und Judith Hill arbeitet auf Augenhöhe mit Michael Jackson. Bei den Talking Heads agierten die beiden Backgroundsängerinnen gar nicht mehr im Hintergrund, sondern teilen sich mit David Byrne das Bühnenzentrum und die Aufmerksamkeit des Publikums.
Man ist Teil des internationalen Rock’n‘Roll-JetSet – und auch wieder nicht. Claudia „Brown Sugar“ Lennears Weg führt von den Ikettes zu den Stones und von den Stones zum „Playboy“; Lisa Fischer gewinnt einen „Grammy“ – und schafft trotzdem keinen Absprung in die Solo-Karriere. Darlene Love hört einen ihrer alten Hits irgendwann im Radio, als sie gerade als Putzhilfe arbeitet.
Allerdings ist die Dokumentation tief von der US-amerikanischen Ideologie durchdrungen, weshalb es hier immer wieder um das Wiederaufstehen nach der Niederlage geht – und der Weg von Darlene Love konsequent in der Rock’n‘Roll Hall of Fame endet. Auch dafür wurde dieser leidenschaftliche und auch leidenschaftlich nostalgische Film mit dem „Oscar“ als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Erfolg oder Misserfolg – „Life’s what you make it!“ Und deshalb muss man ausgerechnet von Sting erklären lassen, dass es im Musikbusiness nicht um Fairness oder Talent, sondern nur um Glück gehe. Das erscheint als Antwort etwas dürftig, zumal in dieser Dokumentation zwar viel afro-amerikanisches Selbstbewusstsein vermittelt wird, aber „Gender“-Fragen kaum anklingen. Wobei aktuelle Entwicklungen im Musik-Business (Castingshows, Autotune, Heimstudio) dem Job des Backgroundsängers ohnehin eine wenig glamouröse Zukunft verheißen.