Im Frühsommer 2009 fasste der Autor Moritz von Uslar einen ebenso irrwitzigen wie kühnen Plan. Aus dem sicheren Terrain von Berlin-Mitte heraus wollte er als Ein-Mann-Expedition dorthin aufbrechen, „wo kaum ein Mensch je vor uns war“: nach Hardrockhausen ins Brandenburgische, wo sich Hartzer, Nazi-Skins und Sonnenbank gebräunte Bräute „Gute Nacht“ sagen, wo Discounter „Mäc Geiz“ heißen und „Leute in strahlend weißen Trainingsanzügen an Tankstellen rumstehen und ab und an einen Spuckefaden zu Boden fallen lassen.“ Hier sollte „des Prolls reine Seele“ gefunden werden. Große Sache! Mutig! Kurzum: Von Uslar wollte sich in der ehemaligen DDR unters Volk mischen und eine teilnehmende Beobachtung wagen.
Zunächst einmal galt es, eine entsprechend heruntergerockte Kleinstadt zu finden. „Sumpfow“, „Stopfow“, „Trostlosow“ und „Zappendüsterow“ schieden aus; und es dauerte eine Weile, bis der Reporter seine Stadt „Overhavel“ gefunden hatte, die mit richtigem Namen Zehdenick heißt. Es ist wohl durchaus bezeichnend, dass man ein Vierteljahrhundert nach dem Anschluss der DDR den stillen Schrecken vor dieser Expedition in den wilden Osten etwas übertrieben findet und deshalb als filmreifes rhetorisches Mittel liest. Die so entstandene Großreportage „Deutschboden“ erzählte vom Leben in der ostdeutschen Provinz, wobei von Uslar alle Vorurteile gleichermaßen bestätigte wie widerlegte. Der Horror war da, aber es gab dort Skins, die gänzlich unspektakulär durch ihr ereignisarmes Leben schlurften, obwohl sie früher, in den 1990er-Jahren, mal Nazi-Skins waren. Am Ende stand die erstaunliche Einsicht: „Deutschland ist ein feiner Kerl!“ – und diese Einsicht zeugte vom Respekt, den von Uslar den Eingeborenen jetzt entgegenbrachte. Die Angst war umgeschlagen in emphatische Affirmation. Ein Gleichklang der Seelen? Eher eine Ethnografie des Inlands, die vom Alltag in sogennanten strukturschwachen Regionen erzählt, wo man sich mit Gelegenheitsjobs oder Hartz IV über Wasser hält, abends in Kneipen oder bei der Tanke trifft, neue Tätowierungen vorzeigt, die Körper und die Autos tunet – und recht perspektivlos, aber pragmatisch durchs Leben driftet.
„Deutschboden“, sprachlich mit dicker Hose und coolem Sound verfasst, wurde ein großer Erfolg bei Publikum wie Kritik und mit dem Fontane-Preis für Literatur der Stadt Neuruppin ausgezeichnet. Wenn Moritz von Uslar in der Verfilmung von „Deutschboden“ jetzt als „der Reporter“ in Oberhavel aufschlägt, dann erinnert sein federnder Habitus etwas an Eddie Murphy in „Nur 48 Stunden“
(fd 23 961): „Sagt den Leuten, es ist ein neuer Sheriff in der Stadt!“ Der Reporter stellt sich als teilnehmender Beobachter der Kleinstadt zur Verfügung: beobachten, zuhören, nicht bewerten. Dem Filmemacher André Schäfer hat die literarische Vorlage jedenfalls so gut gefallen, dass er nach Oberhavel aufgebrochen ist, um die Reportage zu „verfilmen“. Soweit möglich mit den realen Figuren, die in der Reportage vorkommen, etwa den Musikern der Punkband „5 Teeth Less“ – und eben mit von Uslar als von Uslar, der mit markanter Stimme seine Originaltexte aus dem Off zum Besten und vor laufender Kamera den cooler Poser gibt.
Selbstredend ist dies aber eine „unreine“ Literaturverfilmung geworden, konzentrierter und auf lediglich ein paar Figuren der Reportage fokussiert, die inzwischen auch zwei, drei Jahre älter geworden sind. Viel verändert hat sich in Oberhavel dadurch offenbar zwar nicht, doch es entsteht eine deutliche Spannung zwischen den beiden medial so unterschiedlichen „teilnehmenden Beobachtungen“, da die Inszenierung sich hütet, besonders gelungene Szenen der Vorlage einfach zu „reenacten“. Dafür wird man im Film mit neuen Pointen belohnt, die sehr gelassen von einer unerhörten Liebeserklärung an die Provinz künden, an eine nur scheinbar fremde Welt. Dazu braucht es allerdings nicht unbedingt die artifizielle Fallhöhe aus Berlin-Mitte.