Sag nicht, wer du bist!

Literaturverfilmung | Kanada/Frankreich 2013 | 103 Minuten

Regie: Xavier Dolan

Ein junger Werbetexter aus Montreal besucht die Farm, auf der sein verstorbener Lebenspartner aufgewachsen ist. Dessen Mutter weiß nicht, dass ihr Sohn homosexuell war, und der gewalttätige Bruder des Toten macht klar, dass dies so bleiben soll. Gleichzeitig hindert er den Besucher, die Farm wieder zu verlassen, woraus sich ein seltsames Verhältnis entspinnt, das von Gewalt, aber auch einer latenten homophilen Anziehung geprägt ist. Ein außergewöhnlich fesselnder Psychothriller auf den Spuren von Alfred Hitchcock und Patricia Highsmith. Die bezwingende Adaption eines Theaterstücks überzeugt durch großartige Dialoge und Schauspieler, wobei die inszenatorische Professionalität und Stilsicherheit des jungen kanadischen Regisseurs Xavier Dolan erneut begeistern. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TOM À LA FERME
Produktionsland
Kanada/Frankreich
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Sons of Manual/MK2 Prod.
Regie
Xavier Dolan
Buch
Xavier Dolan · Michel Marc Bouchard
Kamera
André Turpin
Musik
Gabriel Yared
Schnitt
Xavier Dolan
Darsteller
Xavier Dolan (Tom) · Pierre-Yves Cardinal (Francis) · Lise Roy (Agathe) · Evelyne Brochu (Sara) · Manuel Tadros (Barkeeper)
Länge
103 Minuten
Kinostart
21.08.2014
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Literaturverfilmung | Psychothriller
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kool (16:9, 1.85:1, DD5.1 frz./dt.)
Verleih Blu-ray
Kool (16:9, 1.85:1, DD5.1 frz./dt.)
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Diskussion
Die Zeichen sind eindeutig: Auf dieser Farm ist es nicht geheuer. Die Ställe sind bis auf ein paar Kühe leer, an den Nebengebäuden sind die Fenster zerschlagen, und auch im Wohnhaus rührt sich nichts. Am Vernünftigsten wäre es, den ungastlichen Ort sofort wieder zu verlassen. Doch der junge Werbetexter Tom hat einen weiten Weg von Montreal ins öde kanadische Hinterland auf sich genommen. Sein Partner Guillaume ist bei einem Unfall ums Leben gekommen; die heruntergekommene Farm war einst Guillaumes Zuhause, die Mutter und der ältere Bruder leben noch immer hier. Sich unter solchen Umständen kennenzulernen, hat ohnehin einen bitteren Beigeschmack, doch Tom erwartet noch Herberes. Als er endlich auf die fragile Mutter Agathe trifft, hat diese keinen Schimmer, wer er ist; eine Erklärung dafür erhält Tom von Guillaumes ruppigem Bruder Francis: die Mutter habe nie von der Homosexualität ihres jüngeren Sohnes erfahren – und Tom solle nur ja nicht wagen, ihr seine Beziehung zu Guillaume zu enthüllen. Der kanadische Filmemacher Xavier Dolan begibt sich mit seiner vierten Regiearbeit „Sag nicht, wer du bist!“ (im Original weniger plakativ: „Tom à la ferme/Tom at the Farm“) auf ein für ihn bislang noch unerkundetes Terrain, ganz wie die vom ihm selbst verkörperte Titelfigur. Nach der ungebändigten kreativen Energie von „I Killed My Mother“ (fd 39 767) und „Herzensbrecher“ (fd 40 262) sowie dem weiten Erzählbogen und dem virtuosen Einsatz filmischer Mittel beim ambitionierten „Laurence Anyways“ (fd 41 763) inszeniert Dolan diesmal erheblich zurückhaltender, aber ebenso bestechend. „Sag nicht, wer du bist!“ ist sein bislang zugänglichstes Werk: ein kammerspielartiger Psychothriller, der zwar auch melodramatische Elemente enthält, aber vor allem als Verneigung vor den Filmen Alfred Hitchcocks erscheint (auch wenn Dolan nie einen von ihnen gesehen haben will). Die aufpeitschende Streichermusik von Gabriel Yared zitiert ausgiebig Bernard Herrmann, und mit Luftaufnahmen weiter Landschaften, durch die Tom im Auto zu der Farm fährt, wird die Erinnerung an die unheilverkündenden Settings aus „Psycho“ (fd 9570) und „Der unsichtbare Dritte“ (fd 8754) wachgerufen. Tom wird zwar nicht wie Roger Thornhill von einem Flugzeug angegriffen, doch erscheinen die Attacken des bulligen Francis kaum weniger tückisch: Mit brutalen Drohgebärden und Faustschlägen treibt er den Besucher dazu, sein Spiel mitzumachen. Francis hat eine Freundin für seinen Bruder erfunden, und Tom muss die Lüge gegenüber der Mutter mit Details unterfüttern; er wird zur Arbeit auf der Farm gezwungen, und von einer Abreise will sein Peiniger nun gar nichts mehr wissen. Anfangs wehrt Tom sich noch, doch dann scheint er der Situation allmählich durchaus positive Seiten abzugewinnen. Auf der anderen Seite inszeniert Dolan auch Francis nicht einfach als homophoben Hinterwäldler. Von Anfang an haben seine Drohungen etwas Zweideutiges, latent Homophiles; Francis scheint es fast genauso sehr darauf abgesehen zu haben, Tom zu quälen, wie darauf, einen aggressiven Balztanz um ihn herum aufzuführen. Die erotische Aufgeladenheit des Verhältnisses, das an die Männerpaarungen in Hitchcocks „Cocktail für eine Leiche“ (fd 12 112) und „Verschwörung im Nordexpreß“ (fd 25 625) oder auch an Tom (!) Ripley und Dickie Greenleaf in Patricia Highsmiths „Der talentierte Mr. Ripley“ erinnert und das die rätselhafte Mutterfigur mal mehr, mal weniger zu durchschauen scheint, nutzt der Film effektiv zum Spannungsaufbau – während die Handlung mit wenigen Wendungen auskommt, die verraten, dass das Drehbuch auf einer geschickt konzipierten Theatervorlage beruht. So auf die famosen Dialoge und die Schauspieler konzentriert, hat der kanadische Überflieger Dolan noch nie inszeniert, und so jugendlich eitel der gerade erst 25-Jährige mitunter auch erscheinen mag – dieser Film bezeugt erneut seine hohe Professionalität, seinen sicheren Instinkt beim Einsatz der Mittel und den Mut, Erwartungen zu unterlaufen, indem er etwa auf einen simplen Stadt-Land-Antagonismus verzichtet: Nicht der homosexuelle Tom wird innerhalb der Landgesellschaft geschnitten, sondern Francis, der sich mit seiner Brutalität selbst in die Isolation manövriert hat. Wie der Film im Kern davon erzählt, wie sehr Intoleranz die Figuren daran hindert, die ersehnte zwischenmenschliche Nähe zu erlangen, das rückt ihn letztlich doch sehr schlüssig in eine Reihe mit Dolans bisherigem Werk.
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