Man weiß gar nicht, wer schöner ist: der 25-jährige Linguistikstudent Boaz (gespielt vom israelischen Topmodel Yoav Reuveni) oder seine Freundin Noa (verkörpert von Moran Rosenblatt). Die beiden stellen ohne Zweifel ein Bilderbuchpaar dar: jung, hübsch, glücklich. Regisseur Yariv Mozer weidet sich denn auch am Anblick ihrer sich liebender Körper. Gemeinsam leben Boaz und Noa in einer kleinen Wohnung in Tel Aviv. Es ist der Sommer 1989.
Noa hat ihr Architekturstudium zurückgestellt, um mit Boaz eine Familie zu gründen. Der wartet auf eine Antwort von der Universität Jerusalem, wo er ein Stipendium beantragt hat. Tag für Tag fährt er zum Postamt, öffnet sein Postfach, findet statt des erhofften Schreibens aber „Liebesbriefe eines Unbekannten“. In diesen anonymen Briefen gesteht ein Mann Boaz seine verzehrende Liebe. Er schreibt in hingebungsvollen, romanhaften Sätzen von seiner Einsamkeit, seiner Sehnsucht. Er scheint Boaz schon lange heimlich zu beobachten. Er weiß, wann er welchen Bus nimmt, wie er seine Mittagspause an der Uni verbringt, mit wem er zusammenlebt.
Auf den ersten Brief reagiert Boaz noch leicht amüsiert und ein wenig geschmeichelt. Doch schon da fühlt er sich ertappt. Beim Lesen der Post achtet er bereits darauf, dass ihn niemand beobachtet. Seiner Freundin erzählt er nichts. Stattdessen versteckt er den Liebesbrief in einer Schublade, wo ihn Noa allerdings bald entdeckt. Auch sie schweigt davon. Es kommen noch mehr Briefe, romantische, leidenschaftliche, und mit den Briefen kehren die Erinnerungen an die Militärzeit zurück, in der Boaz von einem Kameraden umworben wurde, und die Erinnerungen an einen schmerzhaft schönen Kuss.
Bald dreht sich bei Boaz fast alles nur noch um diese Briefe. Er ist enttäuscht, wenn das Postfach leer bleibt, und denkt kaum noch an die Bewerbung. In jedem Mann vermutet er den liebeskranken Unbekannten, im Nachbarn auf dem gegenüberliegenden Balkon, im Chef der Autowerkstatt, dem Jogger, der ihn anrempelt, dem Studenten, der ihm in der Bibliothek schmachtende Blicke zuwirft. Boaz’ Verunsicherung wirkt sich immer mehr auch auf die Beziehung zu Noa aus. Ein Coming-Out liegt förmlich in der Luft.
Der Dokumentarfilmer Yariv Mozer erzählt in seinem Spielfilmdebüt, das auf dem 1995 veröffentlichten Roman „Der Garten der toten Bäume“ des israelischen Schriftstellers Yossi Avni-Levy basiert, allerdings keine simple Coming-Out-Geschichte. Stattdessen beleuchtet er seine Figuren von verschiedenen Seiten und unterfüttert die Identitätskrise des Protagonisten mit Elementen eines Thrillers. Ergänzt von sinnlich-erotischen Szenen sorgt diese spannungsgeladene Dynamik dafür, dass der Film trotz seiner spärlichen Schauplätze – die Wohnung, die Uni, das Postamt und gegen Ende ein Cruising-Park – nicht nach Studio oder Kammerspiel schmeckt. Stattdessen kreiert das klar und kraftvoll gespielte und in sonnige Bilder getauchte Drama eine intensive Atmosphäre aus nostalgischer Wehmut und nachhaltiger Verunsicherung. Nur für die große Leinwand ist der visuelle Horizont vielleicht ein wenig zu eng geraten. Man kann das aber auch als Ausdruck einer begrenzten Lebenswelt interpretieren, in der sich Boaz sicher, geborgen und gefangen zugleich fühlt.