Es gibt eine Szene in dem neuen Film von Woody Allen, in der Bobby Cannavale vor der Eingangstür steht. Er trägt einen hyperproletarischen Seitenschnitt, seine Figur heißt Chili, und links und rechts von ihm erstrecken sich die obszön bunten Werbeschilder eines Amerika, das zu viel Platz hat für seine Städte und deshalb gerne in die Breite baut. Allerdings befindet man sich nicht im Mittleren Westen, sondern in San Francisco – einem mythenüberladenen urbanen Zentrum, in dem sich ein Geschichtenerzähler wie Allen wohlfühlen müsste, der schon Paris, London, Barcelona und vor allem natürlich New York in Seelenlandschaften verwandelt hat. Doch für Jasmine, die eigentlich Jeanette heißt, ist die Stadt so wie Chili: working class, niveaulos, ärmlich.
Ihr Mann Hal hat Jasmine jahrelang ein Leben in Saus und Braus in New York ermöglicht – doch alles war Betrug; Affären, Schwindeleien, Steuerhinterziehung. Alec Baldwin spielt Hal mit einer schön angedeuteten Schmierigkeit, die an seine Rolle in der Sitcom „30 Rock“ erinnert, hier allerdings mit deutlichem Understatement. Hal musste in den Knast und hat sich dort erhängt.
Die ungemein schwierige Balance zwischen Verzweiflung und Komik gelingt Woody Allen virtuos. Gerade zu Beginn weigert er sich, seine Figuren einer Dramaturgie zu opfern, die sich um die zahlreichen Rätsel der Vergangenheit dreht. Vielmehr gibt er seiner Hauptdarstellerin Cate Blanchett Raum, den Genuss und den Kater, die Selbsttäuschung und die Euphorie in Szenen auszuspielen, die als kontrastreiche Tableaus entworfen sind.
Früher gab es ein Haus mit gewaltigen Fensterfronten und Tee auf der riesigen Terrasse bei Freunden nach dem Polo. Heute gibt es die enge Wohnung von Jasmines Adoptivschwester Ginger (Sally Hawkins) in San Francisco, zu der sie nach der Katastrophe geflohen ist – bunt, absolut nicht elegant, ein wenig zugestopft, aber ohne den gegenkulturellen Impetus eines echten Späthippies. Früher gab es Dinnerpartys in einem luftigen Netzwerk aus Salons, heute gibt es Mittagessen auf Plastikstühlen mit Ginger und Chili, ihrem Lebensgefährten. Wo gibt es in dieser Stadt eigentlich den richtigen Martini?
Über alledem schwebt der „Blue Moon“ des begeisterten Jazzers Woody Allen. Eine unwahrscheinliche Konstellation beschreibt der Titel dieses Songs aus den 1930er-Jahren, das große Glück, das zur Liebe führte, aber auch das Unglück davor. Für Jasmine stellt das Stück genau jene Seifenblase dar, in der sie immer noch lebt. Die Improvisation, ein Job als Assistentin bei einem zudringlichen Zahnarzt, eine Online-Ausbildung, das alles liegt ihr nicht. Sie findet, dass sie das Glück verdient hat, und eines Tages scheint es in Gestalt des so smarten wie betuchten Dwight (Peter Sarsgaard) auch wieder in ihr Leben zu treten. Auf seinem Balkon lässt Woody Allen die erste Supertotale von San Francisco zu. Ein Bild, dem man in dieser Geschichte misstrauen muss.