Dokumentarfilm über die städtebaulichen Visionen des dänischen Architekten und Stadtplaners Jan Gehl (geb. 1936), der seit den 1960er-Jahren Konzepte für die Wiederbelebung verödeter Innenstädte entwickelt und diese in Kopenhagen, New York und Melbourne erfolgreich umgesetzt hat. Ein anregender, weit ausholender, skizzenhafter Film, der das „menschliche Maß“ real wie metaphorisch in der Schrittgeschwindigkeit entdeckt.
- Ab 14.
The Human Scale
Dokumentarfilm | Dänemark 2012 | 80 (24 B./sec.)/77 (25 B./sec.) Minuten
Regie: Andreas M. Dalsgaard
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE HUMAN SCALE
- Produktionsland
- Dänemark
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- Final Cut for Real
- Regie
- Andreas M. Dalsgaard
- Buch
- Andreas M. Dalsgaard
- Kamera
- Heikki Färm · Adam Philp · Manuel Alberto Claro · René Strandbygard · Casper Høyberg
- Musik
- Kristian Eidnes Andersen
- Schnitt
- Søren B. Ebbe · Nicolas Servide
- Länge
- 80 (24 B.
sec.)
77 (25 B.
sec.) Minuten - Kinostart
- 31.10.2013
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Auf seiner Hochzeitsreise kam der dänische Architekt Jan Gehl in den 1960er-Jahren auch nach Siena, auf die berühmte Piazza del Campo, die ihn und seine Frau magisch in Bann schlug. Stundenlang sahen sie dem bunten Treiben zu und beobachteten, wie der städtische Raum das Verhalten der Menschen beeinflusste. Das mittelalterlich-renaissancehafte Ineinander von Gewirr und Öffnung, Wohnen, Arbeiten und Feiern war so ziemlich das Gegenteil dessen, was die Modernisten im Gefolge von Le Corbusiers „Wohnmaschinen“ damals gerade favorisierten: Trabantenstädte mit anonymen Wohnsilos, eine funktional gegliederte Stadt, in der die Trennung der Produktion vom Rest des Lebens durch die zunehmende Motorisierung kein Problem mehr darstellte.
Nicht nur architekturgeschichtlich war diese neue Form der Urbanisierung einer der Schlüssel für einen unvergleichlichen Aufschwung, der in den letzten beiden Dekaden selbst ein Agrarland wie China an die Spitze der Weltwirtschaft katapultierte. Die Kehrseiten dieser Entwicklung, die Verödung der Innenstädte, eine Fetischisierung des Autos, der damit verbundene Verkehr sowie die Schwächung nachbarschaftlicher Bindungen, erkannte Gehl schon früh – und antwortete darauf mit dem Konzept des „life between buildings“: Fußgängerzonen, verkehrsberuhigte Areale, eine generelle Aufwertung des öffentlichen Raums. Der Dokumentarfilm „The Human Scale“ von Andreas M. Dalsgaard macht mit prominenten Beispielen bekannt, in denen Gehl und seine Schüler die Auswüchse der Beton- und Plattenphilosophie kreativ zurückschnitten. Ausgangspunkt war die Umgestaltung der Innenstadt von Kopenhagen. Dort führte die Rückkehr zur Schrittgeschwindigkeit als Richtschnur des „menschlichen Maßes“ zu neuer Umtriebigkeit; in New York gelang es, am Times Square und dem Broadway Bänke und Tische zu installieren und die Dominanz der Autos zu brechen; in Melbourne entwickelten sich die Wirtschaftswege zwischen den Blocks zu neuen Lebensadern, mit Cafés und kleinen Shops für den täglichen Bedarf.
Von den Widerständen, auf die Gehls städtebauliche Visionen stoßen, zeugen gescheiterte Versuche in der chinesischen Megacity Chongping und in Christchurch, Neuseeland, wo die „kleinräumigen“ Pläne zum Wiederaufbau der von einem Erdbeben zerstörten Innenstadt von der Regierung kassiert wurden. Die tendenziell basisdemokratische Richtung Gehls, der sich am empirisch erhobenen Verhalten der Menschen orientiert und diese in die Planungen miteinbezieht, passt vielen nicht in den Kram. Doch worin, so fragt der Film am Beispiel von Dhaka in Pakistan, läge eine akzeptable Alternative, wenn am Ende des 21. Jahrhunderts 80 Prozent der dann 10 Milliarden Menschen in Gigastädten wohnen?
Solche globale Fragen verleihen dem Film im Kontext „futuristischer“ Flugaufnahmen über die Skylines der Städte eine bedrängende Perspektive, die in den konzentrierten Interviews mit Gehl und seinen Gefolgsleuten jedoch spürbar geerdet wird. Der weitausholende und dadurch recht skizzenhafte, aber sehr informative und anregende Film adaptiert auf diese Weise in gewissem Sinne ebenfalls Gehls zentrale Einsicht, dass alles Menschliche nur Schritt für Schritt zu haben ist.
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