Ein Iraner kehrt nach Paris zurück, um vor Gericht offiziell seine Ehe mit einer Französin aufzulösen. Während seine Noch-Ehefrau etwas überstürzt die Zukunft mit einer neuen Familie vorantreibt, wirft die Vergangenheit noch manchen Schatten. Ein facettenreiches Familien-, Ehe-, Beziehungs- und Migrationsdrama, das von Übergangsphasen und -räumen sowie den Schwierigkeiten der Ablösung handelt. Der sorgfältig inszenierte, kunstvoll austarierte Film franst gegen Ende zwar dramaturgisch aus, spannt aber mit großer Meisterschaft ein Netz von Beziehungen zwischen den Figuren, in dem sich die Verhältnisse von Anziehung, Verwerfung, Vertrautheit und Befremden ständig neu sortieren. (Kinotipp der katholischen Filmkritik; Ökumenischer Filmpreis Cannes 2013)
- Sehenswert ab 14.
Le passé - Das Vergangene
Drama | Frankreich/Italien 2013 | 130 Minuten
Regie: Asghar Farhadi
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Filmdaten
- Originaltitel
- LE PASSÉ
- Produktionsland
- Frankreich/Italien
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Memento Films/France 3 Cinéma/BIM Distribuzione
- Regie
- Asghar Farhadi
- Buch
- Asghar Farhadi
- Kamera
- Mahmoud Kalari
- Musik
- Evgueni Galperine · Sacha Galperine
- Schnitt
- Juliette Welfling
- Darsteller
- Bérénice Bejo (Marie Brisson) · Tahar Rahim (Samir) · Ali Mosaffa (Ahmad) · Pauline Burlet (Lucie) · Elyes Aguis (Fouad)
- Länge
- 130 Minuten
- Kinostart
- 30.01.2014
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Eine Frau, ihr neuer Partner und ihr Ex-Mann: Ein Drama um in die Brüche gehende und sich neu formende Beziehungen von Asghar Farhadi.
Diskussion
Eine dicke Glasscheibe, die die Transitzone auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle von dem öffentlich zugänglichen Bereich abgrenzt, trennt auch Marie und Ahmad. Beide bewegen stumm ihre Lippen, als hätte man ihnen den Ton abgedreht. Die Scheibe schluckt den Schall; die Kommunikation muss auf andere Mittel ausweichen, auf Gesten, Blicke und Lippenlesen.
Die symbolische Eingangsszene des Films gibt den „Ton“ vor für die komplizierten, verstellten und von Kommunikationsverfehlungen geprägten Beziehungen zwischen den Figuren. Es geht in „Le Passé“ von Asghar Farhadi um Übergangsphasen und Übergangsräume – zwischen dem Titel gebenden Vergangenen und der Gegenwart bzw. Zukunft, zwischen alten und neuen Liebesbeziehungen und Familienkonstellationen, zwischen einem noch nicht abgeschlossenen alten Leben und einem nicht richtig angefangenen neuen und – ganz im Hintergrund – auch zwischen geographischen und gesellschaftlichen Räumen (Iran und Frankreich).
Symbolische Funktion übernimmt auch der zentrale Schauplatz des Films: das neben einer Gleisanlage gelegene, zwischen Schienen und Bahnübergängen eingeklemmte Haus in der Banlieue von Paris, in dem Marie mit Ahmad und ihren beiden Töchtern aus erster Ehe zusammen lebte, bevor die Beziehung in die Brüche ging.
Jetzt, vier Jahre später, ist dieser Ort gleichzeitig in Auflösung wie Umgestaltung begriffen. Maries neuer Lebensgefährte Samir und sein kleiner Sohn Fouad sind eingezogen, pendeln aber noch zwischen der neuen Adresse und einer verwaisten Wohnung, die die nach einem Selbstmordversuch im Koma liegende Ehefrau und Mutter zurückgelassen hat.
Hier und dort finden sich Versuche eines Neuanfangs: halbrenovierte Zimmer, halbgestrichene Wände, halbgefüllte Farbtöpfe. Doch der Ballast des Alten dringt beharrlich durch die darüber gelegten Oberflächen: Das Mobiliar ist teilweise mit Tüchern verhängt, der Abfluss in der Küche verstopft. Noch bevor Ahmad das Haus betreten hat, beginnt er ein kaputtes Fahrrad zu reparieren – es ist der Versuch, zunächst einmal ein wenig Halt zu gewinnen in einer ebenso unübersichtlichen wie ungeklärten Umgebung.
„Le Passé“ ist der erste Film, den der iranische Regisseur außerhalb seines Heimatlandes gedreht hat. Im Gegensatz zu Abbas Kiarostami, der seine beiden jüngsten Filme in Italien („Die Liebesfälscher“, fd 40 216) und in Japan („Like Someone in Love“, 2013) angesiedelt hat, verweist Farhadi trotz aller universaler Ausrichtung seines Films mit der Figur des Ahmad explizit auf die „Übersiedlung“ seines Schaffens.
Ahmad ist von Teheran nach Paris gekommen, um den Scheidungstermin mit Marie wahrzunehmen. Die Scheidung soll die noch lose miteinander verbundenen Bereiche endgültig trennen – und damit auch die Trennung zwischen Samir und seiner diffus zwischen Leben und Tod schwebenden Ehefrau vorantreiben.
Das allerdings gestaltet sich als schwierig. Bereits auf der Fahrt vom Flughafen nach Hause treten die ersten Unstimmigkeiten zutage. So hat Marie nicht wie vereinbart ein Hotelzimmer für ihren Noch-Ehemann reserviert, sondern quartiert ihn mit ihr und den Kindern im Haus ein, in dem es auch zur ersten Begegnung mit seinem Nachfolger kommt. Von diesem erfährt Ahmad erst aus dem Mund von Fouad, auch wenn Marie versichert, sie habe ihm darüber bereits in einer Email berichtet.
Immer wieder kommt es in „Le Passé“ zu Situationen, in denen Informationen verloren gehen oder falsch kommuniziert werden oder in denen die Kommunikation schlichtweg verweigert wird – wie in der Beziehung zwischen der 16-jährigen Lucie zu ihre Mutter Marie sowie zu dem von ihr heftig abgelehnten Samir.
Schließlich aber ist es Ahmad, dem in der angespannten Beziehung zwischen Mutter und Tochter die Rolle des Vermittlers und Vaterersatzes zukommt. Während Marie oft unkontrolliert und unsouverän reagiert – gerade in der Interaktion mit ihrer pubertierenden Tochter – tritt Ahmad besonnen und diplomatisch auf. Er, der das chaotische Treiben mit einiger Distanz betrachtet, kommt der Position des Zuschauers am nächsten.
Farhadi spannt ein dichtes Netz von Beziehungen zwischen den Figuren, in dem sich die Verhältnisse von Anziehung, Verwerfung, Vertrautheit und Befremden ständig neu sortieren. Gegen Ende des Films kommt Farhadi allerdings etwas vom Weg ab und versteigt sich in eine umständlich erzählte und geradezu kriminalistische Abhandlung über die Umstände des Selbstmords von Samirs Frau. Die Konzentration der Geschichte geht darüber ein wenig verloren, thematisch öffnet der Film sich zu moralischen Fragestellungen, vor allem zum Motiv der Schuld.
Im Gegensatz zum dynamisch gefilmten Vorgängerwerk „Nader und Simin“ (fd 40 538) wird „Le Passé“ von einer ruhigen, bewegungsreduzierten Kamera getragen. Die Figuren wirken wie ausgebremst, sie drängen nicht nach vorn, sondern hängen Dingen aus der Vergangenheit nach. Der Regisseur überlässt in seiner akribischen Inszenierung nichts dem Zufall: jeder Schritt, jede Bewegung, jede Geste scheint kontrolliert und durchchoreographiert, jedes Bild exakt kadriert, nie gerät etwas in den Blick, dass zur Erzählung nichts Essentielles beitrüge. Farhadis Form der Kontrolle ist beeindruckend, hat aber auch eine gewisse Hermetik zur Folge. Diese wird durch die kindlichen bzw. jugendlichen Darsteller jedoch immer wieder aufgebrochen: Sie öffnen den Film für das Unfertige, Unabgeschlossene – und für die Gegenwart.
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