Drama | Mexiko/Frankreich/Deutschland/Niederlande 2013 | 105 Minuten

Regie: Amat Escalante

Ein blutjunger mexikanischer Familienvater aus armen Verhältnissen gerät durch eine Kette unglücklicher Zufälle, Ungeschick und Dummheit mit einem Drogenkartell aneinander, als sich der Freund seiner Schwester als Hehler versucht. Ein in präzise konturierten Momentaufnahmen entfaltetes Drama, das die allgegenwärtige Gewalt und brutale Folterungen nicht ausspart, dabei aber stets die Folgen der mörderischen Auseinandersetzung im Auge behält. Der filmästhetisch sperrig-gewagte Film verbindet Originalität mit Engagement, Stil- und Formbewusstsein, wobei er als Sinnbild der mexikanischen Gesellschaft ebenso überzeugt wie als Auseinandersetzung mit männlichen Selbstbildern. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
HELI
Produktionsland
Mexiko/Frankreich/Deutschland/Niederlande
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Mantarraya Prod./Le Pacte/unafilm/Lemming Film
Regie
Amat Escalante
Buch
Amat Escalante · Gabriel Reyes
Kamera
Lorenzo Hagerman
Musik
Lasse Marhaug
Schnitt
Natalia López
Darsteller
Armando Espitia (Heli) · Andrea Vergara (Estela) · Linda González (Sabrina) · Juan Eduardo Palacios (Beto) · Reina Torres (Det. Maribel)
Länge
105 Minuten
Kinostart
18.09.2014
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
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Das erste Bild zeigt ein Gesicht. Es liegt im Fond eines fahrenden Wagens. Der Mund ist mit Klebeband verschnürt, ein blutiger Herrenstiefel, dessen Träger nicht zu sehen ist, drückt auf die Wange. Neben dem gefesselten jungen Mann liegt ein anderer, der noch übler zugerichtet ist. Die Kamera zeigt dieses Schreckensbild in einer einzigen langsamen, das Bild öffnenden Drehung. Kurz darauf baumelt der zweite Junge tot an einer Straßenbrücke. Der andere, Heli, überlebt. Dieser Auftakt sagt viel über die Welt, in der „Heli“ spielt: Willkür, Gewalt und Bedrohung sind hier permanent und unbegrenzt. Nach diesem verstörenden Intro springt der Film einige Tage zurück. Innenansichten einer armen Familie auf dem Land im mexikanischen Bundesstaat Guanajuato. Der 17-jährige Heli ist verheiratet und Vater eines Söhnchens. Er arbeitet in einer Autofabrik. Zur Familie gehören auch sein Vater und seine Schwester Estela. Die zwölfjährige Estela hat einen Freund, Beto, Kadett in der lokalen Polizeikaserne. Beto ist ebenfalls schon 17 Jahre alt und plant, gemeinsam mit Estela in eine bessere Zukunft zu fliehen. Der mexikanische Regisseur Amat Escalante entfaltet dieses Panorama in ruhigen, präzise erzählenden Momentaufnahmen, die entspannt sind und gleichzeitig überaus dicht; sie transportieren viele Informationen, deren Bedeutung sich erst rückblickend erschließt. Zugleich erfährt man viel über Land und Gesellschaft. Etwa wenn beim Polizeitraining, das von einem US-amerikanischen Coach angeleitet wird, Demütigungen alltäglich sind. Oder wenn Betos Vorgesetzte zu einer langen, pathetischen Rede vor Journalisten einen Haufen Drogen verbrennen und dies später zynisch kommentieren. Um seine Flucht zu finanzieren, lässt sich Beto auf einen Deal mit dem Drogenkartell ein, was bald die Hölle auf Erden entfesselt: Unglückliche Zufälle, Ungeschick und Dummheit führen dazu, dass Heli, der für Estela eine Art Ersatzvater ist, die versteckten Drogen findet und zerstört. Schon wenig später wird ihr karges Haus von einer Polizeieinheit gestürmt, die mit einem Drogenkartell im Bunde steckt. Alles eskaliert wahnsinnig schnell, der Vater wird erschossen, Heli, Estela und Beto gefangen genommen. Im zweiten Drittel zeigt Escalante brutalen Folterszenen. Es zeigt sie allerdings ohne jeden Anhauch von Exploitation, aus dem Blick der Folternknechte und ihrer anwesenden Kinder. Erkennbar geht es dem Regisseur um ein Panorama der Wirklichkeit und eine Anklage ihrer Schrecken. Bezeichnenderweise spart der Film komplett aus, was der kleinen Estela widerfährt. Alles mündet in die Anfangsszene: Beto baumelt ermordet an der Brücke, Heli wird freigelassen. Estela später auch. Das letzte Drittel schildert die Folgen des Geschehens für Heli und seine Familie, ihre Angst vor der Wahrheit und den staatlichen Institutionen, sowie Helis Rache. So vervollständigt der Film seine Passionsgeschichte um den Verlust der Unschuld, um moralische Korruption und der Angst vor der Wahrheit. „Heli“ ist dabei gleichzeitig ebenso zeitlos wie brennend aktuell. Denn Escalante spitzt die Handlung auf die Verhältnisse der mexikanischen Gegenwart zu; auf eine Gesellschaft, in der die Männer den Ton angeben, in der das Selbstbild dieser Männer aber vor allem durch verübte wie erfahrene Gewalt bestimmt wird und zugleich Ohnmachtserfahrungen an der Tagesordnung sind. Die Kamera von Lorenzo Hagerman ist bestechend. Seine Bilder verbinden Originalität mit Engagement, Stilisierung und Formbewusstsein. Sein und Escalantes Blick auf die Welt ist beobachtend und mit großer Rationalität inszeniert. Das Ergebnis ist reiner Nihilismus. Allerdings weder in moralischer noch in ästhetischer Hinsicht, sondern als schlichtes Ergebnis einer Bestandsaufnahme. „Heli“ ist ein hartes, auch ästhetisch gewagtes sperriges Drama. Es überzeugt durch seine Konsequenz, aber auch als Sinnbild der gesellschaftlichen Katastrophe des vom Drogenkrieg geplagten Mexikos.

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