Zwei Frauen blicken in einen Apple-Computer – und über dessen Rand hinweg uns Zuschauer an, zusammen mit dem Apple-Logo. Dieses wurde angeblich durch jene berühmte Anekdote inspiriert, nach der der britische Physiker Isaac Newton das Gravitationsgesetz durch einen fallenden Apfel entdeckt habe. Der angebissene Apfel könnte sich aber auch auf die biblische Geschichte vom Baum der Erkenntnis und die Vertreibung aus dem Paradies beziehen, also auf den Sündenfall. Im Zusammenhang mit Brian De Palmas „Passion“ macht diese Interpretation deutlich mehr Sinn. Das gilt auch für das übertrieben betonte Product Placement, denn De Palma, der einfallsreichste und mutigste Filmemacher seiner Generation, erzählt hier eine Geschichte aus der Welt des Marketing, in der die Abgründe der PR-Branche aufs Korn genommen werden, die, so das en passent gefällte Urteil, unsere Welt kaputt mache.
Christine ist die Chefin der Berliner Niederlassung einer erfolgreichen internationalen Werbeagentur. Rachel McAdams spielt die kühle Blonde, die wie im klassischen Film noir kalt wie Eis erscheint. Die dunkelhaarige Isabelle (Noomi Rapace) ist ihre Assistentin und zunächst die Sympathieträgerin des Films. Doch auch „Passion“ ist wie die meisten Filme De Palmas ein Vexierspiel der Emotionen und Perspektiven; wie bei einem Kaleidoskop führt jede dramaturgische Drehung zu einem grundsätzlichen Wechsel der Sicht auf das Ganze. Spiele, Überraschungen, Ideenklau, Wendeltreppen und Masken sind die Leitmotive des Films, der sich auf Alain Corneaus „Crime d‘amour“ (2010) bezieht.
Im Zentrum steht die mit allen Mitteln ausgetragene Konkurrenz zwischen den beiden Frauen um Männer wie Karrierechancen. Doch schon der Titel verweist auf die glühende Emotionslava, die unter der für öffentliche Auftritte mühsam in Form gehaltenen Maske brodelt, und legt die Frage nahe, wer hier denn für wen oder was passioniert sei? Der Film handelt von komplex verstrickten Leidenschaften, von Sex and Crime, von Anschein und Wirklichkeit. Man sieht vor allem Frauen, die die besseren Männer sind, Hysterikerinnen am Rande des Nervenzusammenbuchs. Und die Chronik einer angekündigten Katastrophe, in der Sündenfall und Erkenntnis verschmelzen. Denn das blonde Biest Christine wird brutal ermordet, und der Verdacht richtet sich auf Isabelle.
Immer schon fühlte sich De Palma der Tradition des klassischen Thrillers verpflichtet. Wie sein großes Vorbild Alfred Hitchcock inszeniert De Palma sehr gradlinig, aber mit großer Lust für seine eigenen Obsessionen: direkte und indirekte Hitchchock-Zitate und ein paar De Palma-Verweise. Mitunter ist „Passion“ auch lustig. Der Regisseur gewinnt dem Schauplatz Berlin viele ungewohnte Seiten ab, anstatt nur eilig Denkmäler abzufilmen; der Film ist gespickt mit deutschen Darstellern, allen voran Karoline Herfurth. Es gibt großartige Szenen und grandiose Albtraumeffekte. Mitunter ist allerdings unübersehbar, dass die Produktion finanziell schwach ausgestattet war. De Palma aber ist ein Regisseur der Schauwerte, der visuell klotzen und protzen muss, um als der Autorenfilmer sichtbar zu werden. „Passion“ verströmt hingegen gelegentlich die Anmutung eines deutschen Fernsehspiels; es gibt Szenen, die offensichtlich „schlecht“ gespielt und inszeniert sind, gänzlich übertrieben; anderes erinnert durchs Overacting an Werbung aus den 1980er-Jahren.
Doch selbst aus diesen produktionsbedingten Schwachpunkten macht De Palma das Beste und ordnet sie am Ende dem Ziel einer Provokation des Mainstream-Geschmacks unter. „Passion“ ist ein ambivalenter psychologischer Thriller, der von der Spannung zwischen dem expressiven visuellen Stil und den abgekühlten Emotionen lebt. Ein beunruhigender Film über eine Welt in Unordnung, der auch als Kommentar über die Verlogenheit der Berliner Republik gelesen werden kann.