Große Erwartungen (2012)

Drama | Großbritannien/USA 2012 | 128 Minuten

Regie: Mike Newell

Verfilmung des gleichnamigen Romans von Charles Dickens um die Abenteuer eines Jungen, der, herangewachsen, durch eine anonyme Geldzuwendung die Chance erhält, ein Leben als Gentleman zu führen. Seine unerwiderte Liebe zu einer jungen Frau, die Fallstricke der Londoner Gesellschaft und die Geheimnisse um seinen Gönner überschatten seine Suche nach Glück. Die komödiantisch-satirischen und romantischen Elemente des literarischen Stoffs werden vor allem als düster getönte Rätsel- und Abenteuergeschichte um die tragischen Verwicklungen der Figuren untereinander inszeniert; dies überzeugt dank einer prägnanten und stimmungsvollen Bildsprache sowie der überzeugenden Darsteller. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GREAT EXPECTATIONS
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Lipsync Orid./Number 9 Films/Unison Films/BBC Films
Regie
Mike Newell
Buch
David Nicholls
Kamera
John Mathieson
Musik
Richard Hartley
Schnitt
Tariq Anwar
Darsteller
Jeremy Irvine (Pip) · Ralph Fiennes (Abel Magwitch) · Helena Bonham Carter (Miss Havisham) · Holliday Grainger (Estella) · Robbie Coltrane (Mr. Jaggers)
Länge
128 Minuten
Kinostart
13.12.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Die wilde Marschlandschaft, in der der junge Pip aufwächst, besteht zwar aus Meilen um Meilen flachen Landes, doch der Eindruck von Weite stellt sich in den Bildern, mit denen Mike Newells Verfilmung des Roman-Klassikers von Charles von Dickens anhebt, trotzdem nicht ein: Der Nebel, der über dem feuchten Ried wabert, ist wie eine Wand. An einem großen Pfahl am Wegesrand baumelt ein eiserner Käfig, wie ein Vogelkäfig für Menschen – Zeugnis für die drakonischen Strafen, die jeden erwarten, der vom rechten Weg abkommt. Auch ist es ein eindrückliches Sinnbild für Pips beengte Verhältnisse: Für „große Erwartungen“ lässt das elende Leben des Jungen wenig Freiraum. Newell bleibt in seiner Adaption nahe an Dickens’ Vorlage, interpretiert sie nicht neu wie etwa Alfonso Curarón in seinem Film von 1997 (fd 33 035), findet aber immer wieder eigenständige Bilder, um Pips Geschichte zu übersetzen. Pip ist einer von Dickens’ gebeutelten, misshandelten Waisenjungen. Seine Peinigerin ist seine lieblose, nörgelnde ältere Schwester; bei ihr und ihrem Mann, wie Pip ein Opfer der schwesterlichen cholerischen Anfälle, hat er zwar eine Bleibe, aber kein Heim. Sein vorgezeichneter Lebensweg scheint es zu sein, später einmal vom Schwager das Schmiedehandwerk zu erlernen und in dessen Werkstatt mitzuarbeiten, was für den intelligenten Jungen nicht allzu verlockend ist. Doch eine Reihe seltsamer Begegnungen wird die Weichen für Pip anders stellen. Da ist zunächst der verdreckte und abgemagerte flüchtige Sträfling Magwitch, der sich gleich zu Beginn den zu Tode erschrockenen Jungen greift und ihn zwingt, ihn mit Essen zu versorgen. Und da ist die schrullige Miss Havisham, die Pip engagiert, um ihr und ihrem Mündel Estella in ihrem düsteren Anwesen Gesellschaft zu leisten: Seit sie einst am Tag der Hochzeit von ihrem Liebsten verlassen wurde, ist die Zeit für sie eingefroren; nun sitzt sie in den verrotteten Erinnerungen an jenen tragischen Tag wie eine Spinne im Netz und wartet auf die Gelegenheit, sich am männlichen Geschlecht zu rächen. Wobei ihr Köder die hübsche, jedoch zur Kaltherzigkeit erzogene Estella ist. Pip lässt sich einspinnen: Er verliebt sich in Estella und entwickelt den Wunsch, vom einfachen Schmied zum Gentleman zu werden, um des Mädchens würdig zu werden. Nachdem er heran gewachsen ist, scheint ihn eine unverhoffte enorme Geldzuwendung von einem anonymen Wohltäter diesem Ziel näher zu bringen. Er zieht nach London – in eine Welt mit sozialen Spielregeln, die er erst erlernen muss, und Versuchungen, denen er kaum widerstehen kann. Sein Lebensglück zu finden und seine Integrität zu bewahren, erweist sich auf diesem schlüpfrigen Pflaster als äußerst schwierig. Newell inszeniert in gedämpften, dunklen Tönen: Die dreckigen, vor Menschen wimmelnden Straßen Londons scheinen ebenso abweisend und unübersichtlich wie das neblige Marschland; die Innenräume sind etwas vornehmer als im Schmiede-Haushalt, jedoch ebenfalls düster und bedrückend. Die komödiantisch-satirischen und romantischen Elemente der Geschichte spielen zwar eine Rolle, es überwiegen jedoch die abenteuerlichen Seiten des Stoffs: Der Film macht daraus so etwas wie einen viktorianischen Noir um die Verstrickungen der Figuren untereinander, die die Coming-of-Age-Geschichte des Helden überschatten. Dass innerhalb des Figuren-Ensembles die zwei unglücklichen, tragischen Alten, Miss Havisham und der Sträfling Magwitch – beide von starken Darstellern charismatisch und nuanciert gespielt – wesentlichen Eindruck hinterlassen, ist nur konsequent. Verlieh David Lean demselben Stoff in den 1940er-Jahren am Ende einen dezidierten Optimismus, wirkt Newells Film verhaltener, wenn es darum geht, der Hauptfigur nach allen Irrungen und Wirrungen eine glückliche Zukunft in Aussicht zu stellen: Der Himmel ist grau, unter dem Pip und Estella zusammen finden.
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