Zu Beginn sind sie noch voller Ironie, die US-amerikanischen Botschaftsmitglieder, die auf die aufgebrachte Meute vor ihren Toren blicken: „Die Scheiben sind doch kugelsicher?“ – „Das wurde noch nicht getestet.“ Es ist das Jahr 1979; die Botschaft steht im von der islamischen Revolution erschütterten Teheran. Und es ist der Beginn einer der entscheidendsten Geiselnahmen in der jüngeren US-amerikanischen Geschichte, weil ihre Auswirkungen bis heute die amerikanische Außenpolitik prägen. Erst als die eingekesselten Amerikaner erkennen, dass es diesmal nicht bei friedlichen Protesten bleibt, sondern das Gelände gestürmt wird, versuchen sie im Eiltempo, alle Akten zu vernichten. Während die militärische Führung der Botschaft die Soldaten darauf einschwört, mit Tränengas zu reagieren, um weitere Provokationen und entsprechende Konsequenzen zu vermeiden, reift in einer Gruppe von sechs Angestellten der Entschluss, durch einen Nebeneingang zu fliehen.
Ben Affleck verlässt mit seiner dritten Regiearbeit Boston, den Schauplatz seiner bisherigen Filme („Gone Baby Gone – Kein Kinderspiel“, fd 38 463; „The Town – Stadt ohne Gnade“, fd 40 095), um ein Kapitel der US-Beziehungen zum Iran aufzurollen und die Anstrengungen der Geiselrettung aus Sicht eines Agenten des CIA zu schildern – zu einem Zeitpunkt, an dem die Inthronisierung des nunmehr geschassten Schahs als fataler Fehler gewertet wird. Affleck selbst spielt Tony Mendez, den geschiedenen CIA-Mann, der sich auf Geiselbefreiung spezialisiert hat und einbestellt wird, um verschiedene Strategien zu prüfen, mit denen die Regierung die sechs Angestellten aus der kanadischen Botschaft zurückholen könnte, in der sie mittlerweile Unterschlupf gefunden haben. Mendez verwirft alle bislang gefassten Pläne und kommt erst auf die rettende Idee, als er mit seinem Sohn telefoniert, der gerade den Film „Die Schlacht um den Planet der Affen“
(fd 18 436) schaut. Er erinnert sich an den Make-Up-Artist John Chambers, der ein CIA-Kontakt in Hollywood ist. Der Plan, den er entwickelt, ist kurios: Unter dem Vorwand, Motive für einen Science-Fiction-Film im Iran zu suchen, sollen sich die sechs Amerikaner als kanadische Filmcrew ausgeben. Ein Drehbuch wird gefunden („Argo“) und eine Lesung mit Schauspielern in Kostümen abgehalten – alles, um das Projekt echt wirken zu lassen.
„Argo“ ist ein gut durchdachter Politthriller, in dem Affleck sein Gespür für vielstimmige Genre-Arbeiten jenseits klassischer Gut-Böse-Schemata und präzise Gesellschaftszeichnungen unter Beweis stellt. Gleichzeitig ist sein Film ein süffisanter Kommentar zum Hollywood-Geschäft der 1970er-Jahre, der nicht mit Humor geizt: John Goodman und Alan Arkin mimen das unterhaltsame Duett gestandener Hollywood-Größen, die sich voll bitteren Spotts durch die Instanzen der Filmstadt quälen. Nicht zuletzt in diesen Szenen beweist Affleck seine Detailversessenheit, wenn es gilt, die 1970er-Jahre auferstehen zu lassen: Den dokumentarischen Impetus, der in seinen bisherigen Filmen den White-Trash-Milieus Bostons galt, wendet er hier auf die Rekonstruktion einer Ära an. Die farbentsättigten, teils grobkörnigen Bilder von Kameramann John Toll wirken, als wären sie direkt aus zeitgenössischen Fernsehreportagen entnommen worden. Den Rhythmus des Films bestimmen lange, konzentrierte Einstellungen, während die Planung des verwegenen Coups voranschreitet, immer wieder konterkariert von Großaufnahmen der sechs Geiseln, die bei Rotwein und Kerzenlicht ihre Überlebenschancen taxieren und sich bei jedem verdächtigen Besuch in einen Zwischenraum kauern. Das iranische Volk selbst schildert Affleck als tief verletzt und gedemütigt: bei einem Gang über den Basar kann die Gruppe nur knapp einer gewalttätigen Eskalation entkommen; die Iraner sind hier nicht mehr diskussionsbereit, sie wollen aufbegehren. Dabei hält sich „Argo“ nur zu einem gewissen Teil an die historisch verbrieften Tatsachen: So spielt der kanadische Botschafter eine wesentlich geringere Rolle als es tatsächlich der Fall war. Auch würde man sich wünschen, etwas mehr über die Geiseln zu erfahren, die immerhin den Anlass für den ganzen Coup liefern. Ansonsten versteht es Affleck aber, sein umfängliches Figuren-Ensemble so zu präsentieren, dass trotz der Vielzahl der Beteiligten eindrückliche Charaktere entstehen – auch dank einer, bis in die kleinste Nebenrolle, exzellenter Besetzung. „Argo“ bewerkstelligt gleich mehrere Dinge wie im Handstreich: Er wirft einen neuen, andersartigen Blick auf die Präsidentschaft Jimmy Carters, dem auch aufgrund dieser Krise eine zweite Amtszeit verwehrt blieb – Carter selbst kommentiert das Ereignis kritisch im Abspann des Films, das erst 1997 unter Bill Clinton veröffentlicht wurde. Affleck zeigt, wie man einen Thriller mit komödiantisch-kritischen Seitenhieben anreichern kann, ohne die Spannung der Thriller-Dramaturgie zu unterminieren. Aus dem hübschen Hollywood-Gesicht von einst ist ein Regisseur geworden, der in diesem Film eine große Nachdenklichkeit sowie ein Gespür für glaubwürdige, facettenreiche Milieuporträts beweist.