Drama | Österreich/Deutschland/Frankreich 2012 | 114 Minuten

Regie: Ulrich Seidl

Eine ältere Frau missioniert in Wien mit einer Wandermadonna unter Migranten. Als ihr muslimischer Ehemann wieder auftaucht, der seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt, gerät ihr bigottes Dasein in die Krise. Die Forderung des Mannes nach emotionaler Nähe entartet zum verbissenen Machtkampf. Zweiter Teil von Ulrich Seidls "Paradies"-Trilogie, in der das Scheitern der religiösen Sehnsüchte die filmisch in erdrückenden Tableaus fixierte Einsamkeit noch zusätzlich steigert. (Vgl. "Paradies: Liebe" und "Paradies: Hoffnung") - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
GLAUBE | PARADIES: GLAUBE
Produktionsland
Österreich/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Ulrich Seidl Film Prod./Tatfilm/Société Parisienne de Production
Regie
Ulrich Seidl
Buch
Ulrich Seidl · Veronika Franz
Kamera
Edward Lachman · Wolfgang Thaler
Schnitt
Christof Schertenleib
Darsteller
Maria Hofstätter (Anna Maria) · Nabil Saleh (Nabil) · Natalia Baranova (Natalya) · Rene Rupnik (Herr Rupnik) · Dieter Masur
Länge
114 Minuten
Kinostart
21.03.2013
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Standardausgabe (DVD & BD) enthält keine erwähnenswerten Extras. Die Box enthält die drei DVDs der Trilogie in einer Umverpackung, wobei die Veröffentlichungen aus Österreich (Hoanzl) hochwertiger verpackt sind. Die Boxen enthalten zudem ein Booklet zur Trilogie sowie eine Bonus-DVD. Die darin enthaltenen Extras beinhalten u.a. ein Interview mit dem Regisseur (21 Min.) sowie in den Filmen nicht enthaltene Szenen (21 Min.).

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
Neue Visionen (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Nachdem Ulrich Seidl im ersten Teil seiner „Paradies“-Trilogie die Protagonistin Teresa auf der Suche nach Liebe, Würde und Selbstbewusstsein in ein Ferienressort nach Kenia begleitete, bleibt er im zweiten Teil bei Teresas Schwester Anna Maria in Wien. Die arbeitet in der Röntgenabteilung eines Krankenhauses und geht in ihrer Freizeit mit einer Wandermuttergottes missionieren: als katholische Fundamentalistin, die die Liebe zu Jesus etwas zu wörtlich nimmt, sich schmerzhaften Bußübungen hingibt und deren fromme Betgruppe sich als „Sturmtruppe des Katholizismus“ empfindet. Wenn sich so eine Fanatikerin hingebungsvoll gestrandeter Agnostiker und Andersgläubiger annimmt, dann sorgt das für eine unangenehme Portion Fremdscham, was an ältere Filme von Seidl wie „Tierische Liebe“ oder „Hundstage“ erinnert. Doch Seidl denunziert die Gläubige so wenig wie die Sextouristin in „Paradies: Liebe“. Im Gegenteil: Nachdem er Anna Maria eine Weile bei ihrer Glaubensmission durch die Wiener Migranten-Bezirke begleitet hat, erhöht er unvermittelt die Schmerzgrenze der Figur. Plötzlich sitzt deren Mann Nabil in der Wohnung: ein querschnittgelähmter Ägypter, der insistierend seine Rechte als Ehemann einfordert und eifersüchtig reagiert, als er merkt, dass es Anna Maria mit der Leugnung alles Fleischlichen ernst ist. Nun beginnt ein erbitterter Glaubenskrieg, der zunächst um religiöse Symbole kreist. Letztlich geht es beiden Antagonisten aber nicht um Religion, sondern um Macht. Anna Maria bedient sich der Religion, um sich von ihrem tyrannischen Ehemann zu emanzipieren. Dessen Rückkehr wird zu einer Herausforderung ihrer Gottgefälligkeit, die ohnedies nicht von Barmherzigkeit und der Achtung der Kreatur geprägt ist. An ihrem Arbeitsplatz, wo sie mit Kranken und Hilflosen konfrontiert ist, gibt sich Anna Maria kühl und professionell – und auch die in Pflege genommene Katze hätte etwas mehr Fürsorge brauchen können. Es passt ins Bild, wenn Anna Maria ihrem gelähmten Gegner den Rollstuhl fortnimmt und die Türen verschließt. Wie in einer Groteske der Verzweiflung sieht man in einem der betont artifiziell stilisierten Tableaus Nabil am Boden durch die Wohnung kriechen, schimpfend und zeternd. Es ist aber nicht so, dass Anna Maria in ihrer forcierten Form des Glaubens Erlösung fände; es ist vielmehr so, dass sie ihre Liebe zu Jesus nicht erwidert findet. Dieses Erleben eines permanenten Scheiterns und Verfehlens der eigenen Sehnsüchte ähnelt auf fatale Weise demjenigen ihrer Schwester Terese beim Ausflug nach Afrika. Aus der fundamentalen Einsamkeit führt keine Abkürzung heraus, solange die Machtfragen nicht geklärt sind. So wie die Sehnsucht nach Liebe unter den herrschenden Bedingungen zum Sextourismus führt, so wandelt sich die Sehnsucht nach Gnade zur gottlosen Bigotterie.
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