Die USA, Ende der 1940er-Jahre: In einer existenziellen Krise lernt der junge Schriftsteller Sal Paradise den charismatischen Bohemien Dean Moriarty kennen. Gemeinsam bricht man als lose Clique gen Westen auf, um Amerika neu zu entdecken, unterstützt von Drogen aller Art, Sex und Musik. Lebensgier und Literatur gehen eine eigentümliche Liaison ein, Konventionen werden pulverisiert. Doch was sie wirklich suchen, ist nicht (mehr) zu entdecken. Jack Kerouacs „On the Road“ galt viele Jahrzehnte als Kult-Buch, als Bibel für potenzielle Aussteiger, die sich über alle gesellschaftlichen Regeln hinwegsetzen wollen. Dass das vielleicht alles ein großes Missverständnis war, zeigt wider Willen auch die Verfilmung von Walter Salles, die den einst heißen Stoff mit reichlich Verspätung, aber dafür mit Star-Power doch noch ins Kino transportiert. Dass der Film eine arge Enttäuschung ist, überrascht nicht, sondern liegt wohl in der Natur der Sache.
Jahrzehnte lang fristeten die US-Beatniks und ihre einstmals kultisch verehrte Literatur ein allmählich verblassendes Dasein im Kanon der Gegenkultur-Entwürfe: nicht ganz vergessen, aber auch nicht mehr aktuell. In den vergangenen Jahren tauchten die Beatniks Ginsberg, Burroughs und Kerouac immer mal wieder im Kino auf, mal in einer Mischung aus Real- und Animationsfilm („Howl“, fd 40 253), mal in einer Dokumentation („William S. Burroughs: A Man Within“, fd 40 834), mal im Zusammenhang mit The Doors oder Bob Dylan. Jüngst wurde wieder intensiv über den „Hipster“ und dessen subkulturelle Relevanz diskutiert, was auf Kerouacs fiebrige Apologie des Hipsters in „On the Road“ zurückweist. Kerouac war vielleicht der erste Hipster, und „On the Road“ erzählt davon, was den Hipster zum Hipster macht. Im historischen Kontext der späten 1940er-Jahre bedeutet dies wesentlich „Jazz“, genauer Bebop. Kerouac hat einmal von sich gesagt: „I’m the bop writer!“ Ihm ging es darum, die prinzipielle Kluft zwischen Erfahrung und Niederschrift zu minimieren: „Ich will den ungestörten Fluss persönlicher und geheimer Ideen-Wörter direkt aus dem Verstand; man spielt wie ein Jazz-Musiker zum Thema des Bildes.“ Schon hier klang ein zentrales Missverständnis an, denn die exaltierten Reisen, die „On the Road“ schildert, fanden 1947 statt. Kerouac aber schrieb den Text 1951 in einer Art Rausch; veröffentlicht wurde „On the Road“ erst 1957. Doch in genau den Jahren zwischen 1947 und 1957 hatte sich die jugendliche Gegenkultur von Jazz auf Rock’n’Roll, von Existenzialismus auf Pop und Konsum umgestellt. „On the Road“ kam also bei Erscheinen bereits ein Jahrzehnt zu spät.
Bedenkt man diese Verspätung, dann erklärt sich, warum „On the Road“ jahrzehntelang als Stoff kursierte, aber keine Verfilmung zustande kam. Bereits Kerouac hatte diesen Plan: Marlon Brando sollte die Hauptrolle übernehmen, Kerouac wollte Sal spielen. Immer wieder scheiterten Verfilmungspläne an der unkonventionellen Struktur des Romans, die sich nicht unbeschädigt übersetzen ließ. Ende der 1970er-Jahre sicherte sich Francis Ford Coppola die Filmrechte, doch auch er kam nicht weiter. Der Erfolg von „Motorcycle Diaries“
(fd 36 724) brachte dann den Brasilianer Walter Salles ins Spiel, der acht Jahre Arbeit in dieses Herzensprojekt steckte, sämtliche Details und Mythen rund um die Beat Generation recherchierte und ganz auf Authentizität setzte. Genau darin aber liegt der Schlüssel zum Scheitern des Projekts, das nicht auf die Verfilmung der subjektiven Erinnerungen an die Zeit der wilden Reisen setzt, sondern die Reisen selbst verfilmt. Kerouacs innovativer Ansatz wird dadurch über Gebühr konventionalisiert: Aus der Bibel der Beat Generation wird die Gründungsakte der bloß archivarischen Pop-Literatur. Im Film erlebt Sal Paradise an der Seite von Moriarty allerlei wilde und bizarre Abenteuer, weil er noch einen Roman zu schreiben hat; Kerouac selbst aber erlebte diese Feier des Lebens und der Freiheit als Rausch und versuchte anschließend, diesem Lebensgefühl rückblickend ein literarisches Denkmal zu setzen. Salles liefert wenig mehr als einen bunten Prospekt aus dem Archiv der rebellischen Gegenkulturen des 20. Jahrhunderts, der auch dann enttäuscht, wenn es um die literarischen Ambitionen der Beat Generation geht; denn die Beats waren durchaus mehr als nur ein paar Jungs, die einmal so richtig auf die Tonne hauen oder die Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Highways brechen wollten, hatten literarische Vorbilder wie Proust, Camus oder Céline – und Zeitgenossen wie Jackson Pollock, Merce Cunningham oder John Cage. Für dieses Szenario aber interessiert sich der Film kaum oder nur am Rande.