Mark Lombardi - Kunst und Konspiration

Dokumentarfilm | Deutschland 2012 | 79 Minuten

Regie: Mareike Wegener

Dokumentarfilm über den US-amerikanischen Konzeptkünstler Mark Lombardi (1951-2000), der seit den frühen 1990er-Jahren großformatige Diagramme zeichnete, die er als "narrative Strukturen" bezeichnete: aus der Distanz ästhetische Gebilde, aus der Nähe ebenso erhellende wie beunruhigende Notizen über weltweite Verstrickungen von Wirtschaft und Politik. Im Zusammenwirken aus Nachrichtenbildern, Gesprächsaussagen und urbanen Impressionen nähert sich der Film Fragen nach dem Zusammenwirken von Dichtung und Wahrheit, Kunst und Realität, wobei er Spekulationen über Verschwörungstheorien und politische Skandale weitgehend meidet. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
unafilm/Escape Pic./ZDF/ARTE
Regie
Mareike Wegener
Buch
Mareike Wegener
Kamera
Sophie Maintigneux
Musik
Kevin Haskins
Schnitt
Eli Cortiñas · Mareike Wegener
Länge
79 Minuten
Kinostart
31.05.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Die staatliche Anerkennung seiner Kunst erhielt der Konzeptkünstler Mark Lombardi in Form des Besuchs einer FBI-Agentin, die sich eine seiner komplexen Netzwerk-Zeichnungen nach den Anschlägen von 9/11 genauer anschauen wollte und dabei aus dem Staunen nicht herauskam. Dass Ermittlungsbehörden bei ihrer Arbeit auf ein Kunstwerk zurückgreifen, kann in der Tat dazu führen, dass man die gängige Art und Weise, über Kunst nachzudenken, neu überprüfen muss, wie es im Film einmal maliziös formuliert wird. Lombardi selbst hat diese „Ehre“ nicht mehr erlebt, denn eineinhalb Jahre zuvor war er in seinem Atelier erhängt aufgefunden worden. Als offizielle Todesursache gilt Selbstmord. Lombardi, Jahrgang 1951, entwickelte seine originelle Kunst erst spät: Erst Anfang der 1990er-Jahre versuchte er, die politische und ökonomische Realität grafisch abzubilden, indem er Akteure bestimmter Transaktionen benannte und deren Verbindungen, Beziehungen, Verpflichtungen, Interessenkonflikte und Abhängigkeiten durch Striche und Linien dokumentierte. So entstanden, gespeist aus intensivster Recherche, wandfüllende Momentaufnahmen der Iran-Contra-Affäre, des Whitewater-Skandals und auch der einschlägigen Geschäfte von George W. Bush mit texanischen Ölfirmen und Banken. Aus einiger Entfernung betrachtet, bestechen die Grafiken Lombardis durch ihre Schönheit; tritt man näher heran, stehen dem politisch interessierten Betrachter die Haare zu Berge. Dabei hat Lombardi keineswegs konspirativ gearbeitet, vielmehr waren die Informationen, auf deren Basis er arbeitete, der interessierten Öffentlichkeit zugänglich – ganz wie der berühmte Brief in der Erzählung von Edgar Allen Poe. Dass ein Künstler wie Mark Lombardi davon ausgehen kann, dass er bestimmte Zusammenhänge durch seine Kunst repräsentieren und in Sinn stiftende „Erzählungen“ überführen könne, impliziert auch einen Rekurs auf die alte Formel: „Je näher wir ein Wort ansehen, desto ferner blickt es zurück.“ Will sagen (und der etwas unentschiedene Film von Mareike Wegener lässt da keine Zweifel): Mark Lombardi war (auch) ein Paranoiker von Gnaden, der vorzüglich nächtens die Mosaiksteinchen seiner Recherchen in größere Zusammenhänge rückte und dabei von der These ausging, dass eine tragfähige Narration herstellbar sei, dass es also einen „Sinn“ hinter den einzelnen Ereignissen und Informationen gäbe. Ein solche Narration lautet: Wird jemand, der, zunehmend populärer werdend, intensiv auf dem Gebiet des militärisch-industriellen Komplexes recherchiert und dokumentiert, tot aufgefunden, schlägt die Stunde der Verschwörungstheoretiker. So stellte sich heraus, dass Lombardi vom FBI überwacht wurde, und Freunde erzählen davon, dass ihre Telefone abgehört wurden. Da passt es, wenn sich Kamerafrau Sophie Maintigneux gelegentlich beim Bildinventar älterer Polit-Thriller bedient, was den Zuschauer darauf aufmerksam macht, welches „Spiel“ ihm dieser Film vorenthält. Mareike Wegener hat Dokumente gesichtet, Freunde, Geschäftspartner und die Familie Lombardis vor die Kamera geholt; sie lässt sie ausführlich erzählen, hält sich selbst konsequent mit Wertungen zurück. Die Polyphonie der Stimmen schwankt zwischen vagen Vermutungen, dass beim Tod Lombardis nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sei, und Einschätzungen, dass der Künstler sich zum Zeitpunkt seines Tods wohl in einer schweren persönlichen Krise befand. Dass sich Lombardi verfolgt fühlte, überrascht angesichts seiner Zeichnungen kaum, insbesondere, weil Verschwörungstheorien ja recht komplexe Narrationen sind. Am Schluss erklärt ein Freund des Künstlers, dass er, wann immer er heute über politische Skandale nachdenke, dies stets in Form einer Lombardi-Zeichnung tue. Im Vertrauen darauf, so könnte man folgern, dass es da tatsächlich etwas zu verstehen gibt.
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