Dokumentarfilm über eine traditionsreiche Fraunhofer Schoppenstube, die ein bunt gemischtes Publikum aus Intellektuellen und Arbeitern, Schickeria und Sonderlingen, Alten und Jungen anzieht. Die Kamera mischt sich unter die Gäste des Stüberl und lässt an einer durch die Montage geschickt konstruierten Kneipennacht teilhaben. Dabei würdigt der Film nicht nur das besondere Flair dieses Stücks Münchner Lokalkultur, sondern berührt auch das Problem der Gentrifizierung, in deren Zuge solche "gewachsenen" öffentlichen Orte mehr und mehr in Bedrängnis geraten.
- Ab 16.
Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da
Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 82 Minuten
Regie: Peter Goedel
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- Peter Goedel Filmprod.
- Regie
- Peter Goedel
- Buch
- Peter Goedel
- Kamera
- Klaus Lautenbacher
- Schnitt
- Agape von Dorstewitz
- Länge
- 82 Minuten
- Kinostart
- 29.03.2012
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb
Diskussion
Das Stüberl, wie Stammgäste die Fraunhofer Schoppenstube liebevoll nennen, ist ein Ort, den es eigentlich nicht mehr gibt: Hier treffen sich die Münchner Bohème und Intellektuelle, Proletariat und Bürger, Alte und Junge, Nachtschwärmer, Schlaflose und Trinker. Ein richtiger Schmelztiegel also, den Wirt und Wirtin erst zu dem machen, was er ist. Peter Goedels Dokumentarfilm ist eine Hommage an diese ganz besondere Eckkneipe. Gerade deshalb steht die Fraunhofer Schoppenstube aber auch stellvertretend für all die Eckkneipen, die bayerisch „Boazn“ genannt werden, die der Gentrifizierung, einer ebenso glatten wie austauschbaren „Erlebnisgastronomie“ weichen mussten – das gilt sicher nicht nur für München. „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“ beschwört wehmütig die einzigartige Atmosphäre und erzählt nebenbei die bewegte Geschichte des Wirtspaars Gerti und Werner Guhl. Werner ist eigentlich Musiker: Er spielt Quetsche und Hammond-Orgel, und er singt, alte Wiener Lieder, alte Schlager, Seemannslieder. Die Gäste sind ausdrücklich zum Mitsingen und zu eigenen Darbietungen eingeladen – der Kneipenbesuch wird zum Mitmach-Musical. Bisweilen kann daraus dann auch mal eine Profi-Operette werden, wenn Sänger und Musiker zu Gast sind, etwa aus dem benachbarten Gärtnerplatztheater. Die Lust am Musizieren erinnert an einen legendären Film von Peter Goedel aus dem Jahr 1980: In „Talentprobe“ (fd 22 865) zeigte der 1945 geborene Autor und Regisseur mit einem Sommerfestival im Kölner Rheinpark einen beeindruckenden Live-Vorläufer von Formaten wie „Deutschland sucht den Superstar“. Statt Dieter Bohlen war der Juror die gnadenlose Masse. Bis auf kurze Außenaufnahmen, die das Fortschreiten der Nacht vor der bis in die frühen Morgenstunden geöffneten Kneipe zeigen, bleibt Goedel stets mitten im Geschehen. Das sieht grobkörnig und manchmal auch wackelig aus, es ist halt eng in der Schoppenstube. In diesem Fall stört es nicht, es zieht den Zuschauer in die feiernde, heterogene Gesellschaft hinein. Es wird viel gesungen, viel geraucht und viel getrunken. Durch den Zeitverlauf vor der Tür wird suggeriert, dass es sich um eine einzige Nacht handelt, in der gedreht wurde. Offenbar stammt tatsächlich ein Großteil des Materials aus einem Jahr; unschwer zu erkennen an den Tafeln, die das 30-jährige Jubiläum verkünden. 2003 wurde es gefeiert. Tatsächlich aber umspannte der Dreh einen weit längeren Zeitraum; dies zeigt auch das Altern des Wirts. Die Bänke und Wände sind halbhoch mit dunklem, altem Holz vertäfelt, Sitz- und Lehnenpolster sind grün gemustert. Auf den gelben und roten Tischdecken stehen staubige Kunstblumengestecke und Kerzen. An den Wänden hängen große, verblichene Trinker-Stillleben in Öl, weiter unten, wo die Holzvertäfelung anfängt, Zeitungsausschnitte und Fotos von Wirt und Wirtin nebst Stammgästen. Und Stammgast ist fast jeder hier. Auch Lokalprominenz treibt es immer wieder hierher, den Münchner „Tatort“-Kommissar Udo Wachtveitl etwa oder den Regisseur Marcus H. Rosenmüller, die beide um die Ecke wohnen. Die muss der Zuschauer freilich schon selbst erkennen: Mit unschönen Schrifteinblendungen stört Goedel den Fluss der Nacht nicht.
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