Eine nach Unheil klingende Musik, dann Bilder einer jungen Frau, die schreiend und völlig aufgelöst in einer dahin rasenden Kutsche verschleppt wird: Der Einstieg in David Cronenbergs Film über Carl Gustav Jung, Sigmund Freud und Sabina Spielrein, Pioniere der Psychoanalyse, signalisiert Gefahr. „A Dangerous Method“ lautet denn auch der Originaltitel, doch entfaltet sich der Eindruck von Bedrohung im Folgenden auf einer unterschwelligen Ebene. Grün sind die Schweizer Wiesen und schimmernd die Wellen des Zürichsees, gediegen die bürgerlichen Wohnstuben und elegant die hellen Kleider der Damen und die Anzüge der Herren: Die Ausstattung und das Setting des zwischen 1904 bis 1912 spielenden „period picture“ sprechen nicht von dunklen Trieben, inneren Abgründen oder Neurosen; auch auf Schockbilder, Gewaltexzesse und die Spiegelung der Innenwelten in surrealen Raumfantasien (wie in seinem Film „Spider“, fd 36 512) verzichtet Cronenberg – und das in einem Film, der sich mit den Entdeckern des menschlichen „Es“, des Unterbewussten, beschäftigt.
Tatsächlich ist das nur konsequent: Cronenberg arbeitet, wie die Psychoanalytiker selbst, stark mit dem Erkenntnismittel der Sprache, um in der menschlichen Psyche auf Forschungsreise zu gehen. Es ist eine latente, mal komische, mal unheilverheißende Spannung in diesem Film zwischen den seelischen Untiefen, die in den Dialogen ausgelotet werden, und der gediegenen visuellen Ebene, die nur „kodiert“ Ahnungen des „dunklen Kontinents“ in die Filmrealität eindringen lässt (so spielt etwa das Wasser, Sinnbild des Unbewussten, eine leitmotivische Rolle). Dies reflektiert wiederum die prekäre Situation der drei Hauptfiguren: Sie versuchen, mit- und gegeneinander ihre Kenntnisse über die Psyche und ihre Triebstrukturen zu erweitern, dringen dabei aber zu einem Menschenbild vor, das so gar nicht mit den Normen der bürgerlichen Gesellschaft zusammen passen will, in deren Rahmen sie sich bewegen. Nach der Eingangssequenz, die Sabina Spielreins Einlieferung in die Klinik Burghölzli bei Zürich zeigt, erzählt der Film zunächst eine Erfolgsgeschichte: Spielrein wird als „Hysterikerin“ von dem jungen Arzt C.G. Jung therapiert. Er erprobt an ihr die „Rede-Kur“ Sigmund Freuds, hilft ihr, Kindheitstraumata, masochistische Neigungen und daraus resultierende Schuld- und Schamgefühle zu rationalisieren, und kuriert die junge Frau damit von ihren Anfällen, sodass sie ihrerseits einen Lebensweg als Ärztin und Psychoanalytikerin anstreben kann. Außerdem gelingt es Jung, in Wien die Bekanntschaft Freuds zu machen und in einen freundschaftlichen fachlichen Austausch mit dem älteren Kollegen zu treten. Bald aber verkomplizieren sich die Beziehungen: Sabina, die sich mit ihrer Sexualität arrangiert hat, will diese nun auch ausleben und macht Jung ein eindeutiges Angebot, was dieser, ermutigt durch den seiner Pflege anvertrauten, psychisch kranken Kollegen Otto Gross schließlich annimmt. Die sadomasochistischen Liebesspiele mit Spielrein stürzen Jung aber nun seinerseits in Schuldgefühle, weil sie mit seiner Rolle als Arzt und Ehemann kollidieren. Auch Jungs Freundschaft zu Freud trübt sich wegen fachlicher und menschlicher Unstimmigkeiten. Vor allem Jungs Hinwendung zum Mythischen und zu parapsychologischen Phänomenen lehnt Freud, der sich der noch geringen Akzeptanz seines Fachgebiets bewusst ist, kategorisch ab.
„Gib dem Film, was er braucht“: So umschrieb David Cronenberg beim Festival in Venedig 2011 sein filmemacherisches Credo, das er in „Eine dunkle Begierde“ meisterlich umsetzt. Präzise seine Erzählmittel dem Sujet abgewinnend, zeichnet er ein kluges, zwischen Anteilnahme und ironischer Brechung elegant balancierendes Porträt dreier wissenschaftlicher Pioniere, das deren Leistung würdigt, aber auch subtil Schwächen auslotet, ohne zu diffamieren. Während sie um einen objektiven Zugriff auf die Geheimnisse der Psyche ringen, kommen die Figuren nicht umhin, selbst bis zu den hochgeschlossenen Krägen in den Untiefen der eigenen Begehrlichkeiten zu stecken und diese mit den gesellschaftlichen Spielregeln ihrer Zeit auszubalancieren – wobei vor allem C.G. Jung eine oft fragwürdige Figur abgibt, während Spielrein, historisch marginalisiert, als außergewöhnlich starke, sich emanzipierende Frau gezeichnet wird. Zudem ist der Film, so konzentriert er sich den drei Protagonisten und ihrer Interaktion widmet, ein äußerst beziehungs- und anspielungsreiches Zeitbild Europas am Vorabend der fundamentalen Umwälzungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs: Die Ahnung dieses bevorstehenden Bruchs blitzt immer wieder auf; wie ein Schatten hängt sie über der trügerisch „glatten“ bürgerlichen Welt, an deren Fassade die drei Figuren kratzen.