Wenn der Halbmond der türkischen Flagge auf den Vollmond des Abendlandes trifft, dann mag dieses Gebilde entstehen: ein Dreiviertelmond, naturwissenschaftlich natürlich unmöglich, eher wie eine Pizza, bei der ein Viertel weggeknabbert wurde. Hartmut und Hayat essen hingegen lieber Döner und Börek. Zumindest ist das die Nahrung, mit der Hartmut, ein knurriger Taxifahrer voller Vorurteile, versucht, den Bauch des türkischen Mädchens zu füllen. Vor Wochen fuhr er Hayat und ihre Mutter vom Flughafen zur Großmutter nach Nürnberg. Jetzt arbeitet die Mutter auf einem Kreuzfahrtschiff, und die Oma fällt ausge-rechnet auf ihrem Gebetsteppich ins Koma. Ohne Deutschkenntnisse und ohne Habseligkeiten setzt sich Hayat in Hartmuts Taxi. Sie bevorzugt wie alle Kinder allerdings ein internationales Lieblingsgericht: Pommes.
Das ist die Ausgangslage von Christian Züberts integrativem Buddy-Film über eine Freundschaft der etwas anderen Art, zwischen einem Griesgram im Stillstand und einem kleinen Mädchen, dessen Name nicht umsonst „Leben“ bedeutet. So viele niedliche Szenen hält diese Konstellation unter dem Dreiviertelmond bereit und löst sie auch ein: Auf Hartmuts Rücksitz wurzelt Hayat, die ihre Händchen einfach um Klinken, Kopfstützen oder Arme krampft, wenn sie nicht weggebracht werden will. Munter verziert sie sein Taxi nach Kinderart mit Schokolade und Fett, bevor die wüsten Beschimpfungen ihres „Chauffeurs“ Einzug in ihren deutschen Wortschatz hält. Dieser grummelige Mann am Steuer wirkt seinerseits wie das Abziehbild eines deutschen Mittsechzigers, der sich regungslos in seiner Ehe eingenistet hat und aus allen Wolken fällt, als ihn seine Frau nach 30 Jahren wegen eines anderen, aktiveren Mannes verlässt. Hartmut mit dem harten Gemüt sah seine Stunden schon gezählt; jetzt versucht er, mit der „Enkelin auf Zeit“ das wieder gut zu machen, was er ebensoo hartherzig wie faul seiner ersten Familie verwehrt hat.
„Dreiviertelmond“ besitzt ein großes Herz für seine verlorenen Figuren, die, wie sie der Sprache des anderen nicht mächtig sind, mit kleinen Gesten viel über die Ängste zweier Generationen aussagen. Es sind konstruierte, aber durchaus plausible Handlungsprämissen, die ein fremdsprachiges Kind in die Arme eines Fremden treiben. Das vermengt sich zu einer anrührenden Geschichte über die Annäherung von zwei einsamen Menschen, die sich so sehr brauchen wie die Länder, aus denen sie kommen. Das wird auch der Hauptgrund sein, warum die Tragikomödie ihren Weg ins Kino findet, obwohl sie sich eigentlich viel kraftvoller ihr Territorium als Fernsehfilm erstreiten könnte. Dieser Eindruck liegt weniger am Seriendarsteller Elmar Wepper, der sich schon in Doris Dörries „Kirschblüten – Hanami“
(fd 38 604) als bayerischer Witwer Rudi in Japan auf der Suche nach sich selbst befand; „Dreiviertelmond“ wirkt im Vergleich damit wie eine Fingerübung vor Weppers großem Wurf, wie eine abgeschwächte Variation der Annäherung von Rudi und der jungen, mutterlosen Japanerin Yu. Nur bedarf es für die innere Wandlung von Weppers Taxifahrer nicht mehr der Dynamik einer Reise oder der Dramatik des Partnertodes.
Es ist jedoch nicht diese Reduktion, die alle Bewegungen der Mimik eines räumlich festgesetzten Schauspielers und der zunehmend von arabischen Klängen versetzten Filmmusik abverlangt.
Das größere Problem des Films besteht nicht einmal darin, dass die Kamera und ihre Einstellun-gen nur wenig Mut für eine cineastische Bildergeschichte aufweisen, sondern dass sie sich oft nicht früh genug für die nächste Szene verabschieden. Zu viel wird ausgespielt, zu oft ausge-sprochen, wofür man längst keine Worte mehr bräuchte. Das schwächt die Botschaft des Films wie die Ansprache eines Redners, der sich selbst gerne zuhört. Kurz: Nicht in der Ausstrahlung von Hayat und Hartmut liegt das Problem, es ist vielmehr die Form, in der sie ihre gegenseitige Annäherung vollführen. Auf der großen Leinwand fehlt dieser „Mondscheinsonate“ genau jene emotionale Intensität und Strahlkraft, die großes Kino wie Dörries „Kirschblüten“ ausmacht. Im Gegensatz dazu wirkt „Dreivier-telmond“ analog zu seinem Titel wie nichts Halbes und nichts Ganzes.