Der Originaltitel „Conviction“ hat eine doppelte Bedeutung. Die Vokabel steht im Englischen sowohl für „Verurteilung“ als auch für „Überzeugung“. Es ist dieser Doppelsinn, auf dem die Handlung aufbaut: die Verurteilung eines Unschuldigen und die feste Überzeugung seiner Schwester, dass er den ihm angelasteten Mord nicht begangen hat. Ein Thema, das von der Tragweite griechischer Tragödien nicht weit entfernt ist und sich auf tatsächliche Ereignisse beruft. Fatalerweise hat die Filmgeschichte längst bewiesen, dass Filme, die realen Gegebenheiten nachempfunden sind, oft an ihrem Versuch, die Wirklichkeit zu imitieren, oder an dem Übereifer, aus ihr eine ergreifende Story herauszufiltern, scheitern. Hier ist unglücklicherweise beides der Fall. Die Ereignisse, die dem Film zugrunde liegen, haben sich etwa so abgespielt: In den 1980er-Jahren wird in einer kleinen Stadt in Massachusetts ein junger Vater, der sich durch sein aufsässiges Benehmen bei der örtlichen Polizei unbeliebt gemacht hat, aufgrund von Indizien eines brutalen Mordes verdächtigt, festgenommen und zu lebenslänglicher Haft verurteilt (Massachusetts kennt keine Todesstrafe). Seine Schwester, die unverrückbar an die Unschuld des Bruders glaubt, krempelt daraufhin ihr ganzes Leben um, macht ihren Schulabschluss nach, studiert Jura und wird Rechtsanwältin, nur um in der Lage zu sein, die Verurteilung des Bruders wieder aufzurollen und 16 Jahre später mit Hilfe eines DNA-Tests zu beweisen, dass er die ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen hat.
Die Drehbuchautorin hat erkannt, dass es für die Glaubwürdigkeit von Personen und Thema entscheidend darauf ankommt, Herkunft und Charakter der Geschwister ausführlich zu beschreiben. Auch Regisseur Tony Goldwyn gelingen die eindringlichsten und fesselndsten Szenen am Anfang, wenn er das Milieu schildert, in dem Betty Anne und Kenny Waters aufgewachsen sind, wie ihre kindlichen Spiele in aller Unschuld oft die Grenzen des Legalen überschritten, wenn sie etwa Süßigkeiten stahlen und in anderer Leute Haus heimlich verzehrten. Betty Anne und Kenny schufen sich ihre eigene Welt inmitten einer sozial schwachen Umgebung, die für Kinder wie sie keinen anderen Ausweg sah, als sie zu Pflegeeltern zu geben. Die aus dieser Kindheit resultierenden emotionalen Bande der Geschwister motivieren ihre späteren Verhaltensweisen und verschaffen der eigentlichen Story eine stabile Grundlage. Hier leistet die Regie überzeugende Arbeit, hier passt auch die Handkamera hin, die später kaum noch Berechtigung besitzt. Vor allem gelingt es, Kenny als einen spontanen, wenngleich cholerischen Charakter zu entwickeln, der trotz seiner liebenswerten Seiten sehr wohl in der Lage sein könnte, im Affekt einen Mord zu begehen.
Sobald der Film zur Geschichte der zu allem entschlossenen Betty Anne schwenkt, die ihre Ehe und ihre Kinder vernachlässigt, weil sie nur noch ein Ziel verfolgt, nämlich Kenny aus dem Gefängnis zu befreien, verfällt „Conviction“ in ein voraussehbares Rührstück, das trotz aller Verzögerungen und Widerstände keinen Zweifel am Ausgang der Geschichte aufkommen lässt. Auch eine Story wie diese dürfte sich ein bisschen „Suspense“ leisten und wenigstens hier und da Zweifel an Kennys Unschuld nähren. „Conviction“ zeigt sich hingegen von Betty Annes Opferbereitschaft so sehr fasziniert, dass für Relativierungen kein Raum bleibt. Hilary Swank bemüht sich erkennbar, das in der ersten Filmhälfte so eindringlich motivierte Interesse an ihrer Figur wachzuhalten, wird aber vom Drehbuch im Stich gelassen, das den spontanen Szenen der Kindheit und Jugend außer der ungewöhnlichen Determination der jungen Frau kaum neue Facetten hinzufügt. Deshalb müssen altbewährte Tricks in Gestalt von Randfiguren wie den bis an die Grenze zur Karikatur überzeichneten Zeuginnen herhalten, deren Falschaussagen Kenny hinter Gitter gebracht haben. Es ist schade, wenn ein Film, der eine sozial relevante Story erzählt, auf den eingefahrenen Gleisen einer Dramaturgie landet, die nicht viel besser als die durchschnittlicher TV-Movies ist. Wie wenig sich der Film letztlich den tatsächlichen Geschehnissen verpflichtet fühlt, zeigt sich daran, dass er im Nachspann, der dem späteren Schicksal der Personen gewidmet ist, kein Wort über Kenny verliert. Der ist sechs Monate nach seiner Freilassung an den Folgen eines unglücklichen Sturzes gestorben.