Das Leben ist kein Heimspiel

Dokumentarfilm | Deutschland 2010 | 94 Minuten

Regie: Frank Marten Pfeiffer

Dokumentarfilm über den Fußballclub TSG Hoffenheim, seinen Aufstieg vom Regional- zum Bundesligisten und den damit einhergehenden Ausbau des Vereins zu einem global operierenden Fußballunternehmen. Ein vielschichtiger, dabei durchaus liebevoller "Heimatfilm", der zugleich detailreiche Fußballdokumentation und kritische Reflexion auf die Dominanz ökonomischer Organisations- und Marketingstrategien und ihres Effizienzprinzips ist. Dies alles eröffnet indirekt eine umfassende gesellschaftspolitische Perspektive. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Sommerhaus Filmprod./Filmaufbau Leipzig/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Frank Marten Pfeiffer · Rouven Rech
Buch
Frank Marten Pfeiffer · Rouven Rech
Kamera
Frank Marten Pfeiffer
Schnitt
Catrin Vogt
Länge
94 Minuten
Kinostart
05.01.2011
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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„Blau ist eine ganz kalte Farbe“, insistiert der Architekt. Hätten sie das früher in Hoffenheim gewusst, hätten sie es sich vielleicht mit den neuen Club-Farben noch einmal genau überlegt. So wie alles andere. Um noch besser „die Herzen zu akquirieren“, um noch perfekter „an der Identifikation zu arbeiten“. Jochen A. Rotthaus, von dem diese kühlen Formulierungen aus dem Wörterbuch des Marketings stammen, ist kein unsympathischer Mann. Er hat Fantasie: „Jetzt müsst ihr euch vorstellen...“, sagt er immer wieder, um dann mit seinen Visionen ganz groß auszuholen. Er ist ein Wahnsinniger, produktiv besessen, so wie man das sein muss, wenn man Erfolg haben will im Fußballgeschäft. Rotthaus, Geschäftsführer der TSG Hoffenheim, der seit 2008 als neureicher Emporkömmling in der Fußball-Bundesliga für Furore und viel Stirnrunzeln sorgt, ist der heimliche Hauptdarsteller dieses Dokumentarfilms. Mehrere Jahre lang haben Frank Marten Pfeiffer und Rouven Rech den Verein begleitet. Wenn man Rotthaus und der TSG eines hoch anrechnen muss, dann, dass sie diesen Film überhaupt zugelassen und später auch keine kleinlichen Kürzungen erzwungen haben. Denn nicht immer kommen sie hier gut weg. Im Gegenteil: Die Macher bekamen erstaunlich offen Zugang. Man bekommt überaus intime Einblicke, wird Zeuge von Verhandlungsgesprächen, von Spielvorbereitungen, es gibt Interviews mit Spielern, Platzwarten und dem Mäzen Dietmar Hopp, der trotzig insistiert: „Unsere Tradition ist die Zukunft“, was das ganze Dilemma der TSG Hoffenheim illustriert. Die Dokumentaristen zeigen, wie aus einem verschlafenen Provinzclub ein global operierender Fußballkonzern geschneidert wird, der nach dem Vorbild großer Unternehmen organisiert wird und entsprechend streng autoritär funktioniert, wie PR-Denken und Werbersprache einkehren und der schönsten Nebensache der Welt die letzte Romantik ausgetrieben wird. Dass aus dem Traditionsverein mehr und mehr ein Retortenclub wird, seit der Milliardär Hopp der TSG Hoffenheim übernommen und finanziell großzügig ausgestattet hat. Im Zentrum des Dokumentarfilms, der im Januar 2007 beginnt, als Hoffenheim noch Regionalligist war, steht die Saison 2007/08. Damals „kaufte“ sich der Aufsteiger mit einem Etat, der höher lag als der aller anderen Zweitligisten zusammen, de facto den Aufstieg in die Bundesliga; parallel dazu wurde ein internationalen Standards genügendes Stadion aus dem Kraichgauer Acker gestampft und der Club durch eine umfassende Imagekampagne von Rotthaus neu erfunden. Jetzt geht es nur noch um den „Markenauftritt“, darum, rebellierende Alt-Fans ruhig zu stellen, etwa 100 neu erschaffene Fanclubs quer durch die ganze Republik fernzusteuern, und nicht zuletzt das neue, im Prinzip überdimensionierte Stadion voll zu bekommen. „Früher waren es Fans und Spiele, heute sind es Kunden und Produkte“, resümiert ein langjähriger Fan, was klar macht, dass der Film primär ein großartiges Lehrstück über den Neoliberalismus ist, eine hochpolitische Parabel auf die New Economy und die Verluste, die mit ihr einhergehen, auch ein Fallbeispiel darüber, wie ein allgegenwärtiges Effizienzdenken alle anderen Lebensbereiche zu infizieren droht. Die Folgen der Ökonomisierung jener „Softskills“, die man früher einmal „Seele“ nannte, sind ein zentrales Motiv dieses liebevollen Heimatfilms, der zugleich aber auch darüber hinaus geht; denn „Das Leben ist kein Heimspiel“ ist auch eine überaus gelungene Fußball-Dokumentation. Durch ihre Situationskomik ist sie auch für jene interessant, die den Sport selbst reizlos finden, weil der Film sich auf das Umfeld konzentriert und im Fußball das ganze Leben und die Gegenwart entdeckt. Zugleich wird der Sport nicht verraten. Die Regisseure stellen ganz im Gegenteil die Frage, wie sich unter den Bedingungen einer deregulierten und globalisierten (Fußball-)Wirtschaft die Geschichte des Fußballs noch pflegen und seine Tradition bewahren lässt und ob die Bewahrung der Tradition überhaupt noch ein Wert an sich ist. Die Gesellschaft, als deren Teilsystem der Fußball in diesem Film erscheint, ist eine PR-Gesellschaft: entpolitisiert und nach Marketing-Gesetzen gesteuert. Fußball gehört darin zu jenen Phänomen, mit denen diese Gesellschaft mehr durch Überredung, Identifikation und Zugehörigkeit gesteuert und manipuliert wird als durch demokratische Entscheidungen einer diskutierenden Öffentlichkeit unter Gleichen. Der Profisport wird zum Agenten einer Entdemokratisierung. Man kann es als Tugend des Films betrachten, dass die Regisseure darauf verzichten, selbst Position zu beziehen; ihre Ansichten sind dennoch für jeden, der Augen und Ohren hat, leicht zwischen den Bildern und in den Worten der Protagonisten zu entdecken. Nur eine Frage wird konsequent ausgeklammert, obwohl sie doch fast auf der Hand liegt: Könnte man das Modell „Hoffenheim“ – Tradition aus der Retorte, die Erschaffung künstlicher Zugehörigkeiten und Gemeinden – auch auf andere Bereiche der Gesellschaft übertragen? Könnte es beispielsweise auch in der Politik funktionieren? Der italienische Rechtspopulist Berlusconi hat vorgemacht, wie man eine Partei nach dem Muster eines Fanclubs organisiert. Eine Schreckensvision, der die Macher von „Das Leben ist kein Heimspiel“ ausweichen.
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