Ein unter französischen Kleinkriminellen angesiedelter Film um einen Dieb, für den sich unerwartet die Chance auf einen Ausbruch aus seinem vertrauten Leben ergibt, als er zusammen mit einer Lehrerin, in die er sich verliebt hat, auf der Flucht vor der Polizei in einer einsamen Flusslandschaft strandet. Was als Milieustudie und Genrefilm beginnt, gewinnt mit der Verlagerung aus dem urbanen Raum in die Wildnis eine poetische Kraft, die vertraute Erzählmuster souverän und originell transzendiert.
- Ab 14.
Au Voleur
- | Frankreich 2009 | 96 Minuten
Regie: Sarah Leonor
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Filmdaten
- Originaltitel
- AU VOLEUR
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Les Films Hatari/Le Studio Orlando
- Regie
- Sarah Leonor
- Buch
- Sarah Leonor · Emmanuelle Jacob
- Kamera
- Laurent Desmet
- Schnitt
- François Quiqueré
- Darsteller
- Guillaume Depardieu (Bruno) · Florence Loiret Caille (Isabelle) · Jaques Nolot (Manu) · Benjamin Wangermée (Martin) · Rabah Nait Oufella (Ali)
- Länge
- 96 Minuten
- Kinostart
- 16.12.2010
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
"Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, / der sich im allerkleinsten Kreise dreht, / ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, / in der betäubt ein großer Wille steht.“ Auf Deutsch, mit Rilkes Gedicht „Der Panther“, setzt der Film ein, der Guillaume Depardieus letzte Arbeit werden sollte. Auch „Au Voleur“ erzählt von einem Moment des Ausbruchs, von der Erkundung einer pastoralen Welt jenseits der „tausend Stäbe“ (Rilke) und „outside the society“ (Patti Smith). Der ältere, gerade entlassene Häftling Manu bestätigt hier am Rande einmal, dass man nach langer Isolationshaft einen anderen brauche, der einem bestätige, dass man noch lebt. Bruno, ein Bekannter Manus, ist ein routinierter Dieb mit einem mysteriösen Charisma. Hinkend, hager und zumeist schweigend bewegt er sich durch seinen Alltag, hinterlegt Diebesgut, kassiert Geld dafür, lungert in Bars herum und wird von einem Jungen bewundert. Er holt den viel älteren Manu aus dem Knast ab. Gemeinsam feiert man in einer Kneipe das Wiedersehen, dazu erklingt die Stimme von Nina Simone aus der Jukebox. Als die Aushilfslehrerin Isabelle beim Überqueren der Straße angefahren wird, eilt Bruno ihr zur Hilfe, nutzt aber gleichzeitig die Chance, der Bewusstlosen die Uhr zu entwenden. Später begegnet er ihr erneut in einer Bar. Bruno plant ein größeres Ding, doch Manu lehnt es ab, dabei mitzumachen. Dafür wird der Junge, der Bruno bewundert und den Bruno zu schützen versucht, in einem gestohlenen Auto von der Polizei überrascht.
Kurzum: Das Spielfilmdebüt von Sarah Leonor entwickelt sich recht offen und ausgesprochen ruhig in der Manier einer impressionistischen Milieustudie, bei der lange nicht klar ist, für welche Variante des Allzubekannten sich „Au Voleur“ letztlich entscheiden wird. Doch dann nutzt der Film wie seine beiden Protagonisten eine günstige Gelegenheit für eine überraschende und erstaunlich konsequent umgesetzte Ausbruchschance. Auf der Flucht vor der Polizei biegen Bruno und Isabelle, die mittlerweile ein Liebespaar sind, von der Straße ab, lassen das Fluchtfahrzeug stehen und tauchen in der Urwaldlandschaft einer Au unter. In der folgenden Hälfte lässt die Milieustudie das Milieu lange hinter sich und entwickelt sich zur Robinsonade, unterlegt von ein paar sehr schönen Folksongs. Das Leben am und auf dem kaum Fluss zu nennenden Gewässer hält Begegnungen mit Rehen bereit; die Darstellung der Natur erinnert wahlweise an Terrence Malick, Mark Twain oder auch die letzten Einstellungen von „Une visite au Louvre“ von Huillet/Straub. Doch das Abstreifen der zivilisatorischen Zwänge, daran lässt Leonor keinen Zweifel, ist nicht von Dauer. Der rousseauschen Idylle ist in sentimentalischen Zeiten keine Zukunft beschieden: Wenn das Boot nach langer Zeit wieder in die Stadt hineintreibt, ist die kurze Liebesgeschichte zwischen Isabelle und Bruno zu Ende. Aber immerhin hat das Paar zuvor ein ausgesprochen schönes Abenteuer erlebt. Der Mut und die Konsequenz der Filmemacherin, ihre Genregeschichte unvermittelt ins Poetische umzuleiten, sich der Magie des Poetischen anzuvertrauen, zeugt von einem Talent, das künstlerische Risiken souverän meistert, indem es sich auf die Intensität der Atmosphäre der Flusslandschaft und das packende Spiel der Hauptdarsteller verlässt. Am Ende hat der Zuschauer fast vergessen, dass er lange Zeit erwartete, es hier mit einem ganz anderen Film zu tun zu bekommen.
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