Episodenfilm um junge Muslime in Berlin, die zwischen dem Lebensstil einer säkularisierten deutschen Gesellschaft und traditionellen islamischen Glaubensvorstellungen ihren eigenen Weg suchen. Dabei fungieren die Protagonisten allerdings lediglich als "repräsentative Problemfälle", sodass die Wendungen des Dramas psychologisch unglaubwürdig und übersteigert wirken. Trotz dieser Schwächen ist der filmsprachliche wie inhaltliche Ehrgeiz, mit dem das Debüt ein Stück deutscher Wirklichkeit verhandelt, durchaus spannend.
- Ab 16.
Shahada
Drama | Deutschland 2010 | 88 Minuten
Regie: Burhan Qurbani
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2010
- Produktionsfirma
- bittersuess pictures/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)/Filmakademie Baden-Württemberg
- Regie
- Burhan Qurbani
- Buch
- Burhan Qurbani
- Kamera
- Yoshi Heimrath
- Musik
- Daniel Sus
- Schnitt
- Simon Blasi
- Darsteller
- Maryam Zaree (Maryam) · Jeremias Acheampong (Samir) · Carlo Ljubek (Ismail) · Marija Skaricic (Leyla) · Sergej Moya (Daniel)
- Länge
- 88 Minuten
- Kinostart
- 30.09.2010
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Der 1980 in Erkelenz geborene Burhan Qurbani, Sohn afghanischer Flüchtlinge, landete mit seinem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg auf Anhieb im Wettbewerb der „Berlinale“ 2010, und das mit einem Thema, das nicht zuletzt im Schlepptau von Thilo Sarrazin ins Schwarze der aktuellen Debatte um die Integrationsfähigkeit muslimischer Migranten trifft. Schon der Titel „Shahada“, der als eine der fünf Säulen des Islam für das islamische Glaubensbekenntnis steht, führt in die isolierte Welt von drei jungen Muslimen in Berlin, deren ohnehin konfliktgeladene Existenz im Fastenmonat Ramadan aus den Fugen gerät. Selten sind deutsche Filme so nah am Puls der Zeit, angesiedelt in einer Lebensrealität, die bisher höchstens für einen Kriminalfall in einer „Tatort“-Folge getaugt hat. Schade nur, dass der mit zeitlichen und erzählerischen Mehrfachsträngen arbeitende, in Breitwandoptik gedrehte Episodenfilm überdeutlich als Anfängerfilm zu erkennen ist: überladen und bildverliebt, schicksalsträchtig und didaktisch. Mitunter scheint es, als hätte dem Regisseur eine komprimierte Variante von Kieslowskis „Dekalog“ vorgeschwebt, die nach der Lebbarkeit des Islam in der westlichen Welt fragt, aber zugleich auch ein Generationsporträt, das die Widersprüche auslotet, die es zwischen zwei Kulturen auszuhalten gilt. Es ist kein Zufall, dass er die einzelnen Kapitel mit Zwischentiteln nach Glaubensregeln unterteilt. Alles in diesem Melodram schöpft aus der Verzweiflung darüber, die Orientierung auf dem Scheideweg zur neuen Identität verloren zu haben, vor die Wahl gestellt zwischen zwei Optionen, nicht mehr zu wissen, ob die Freiheit der Aufgehobenheit in einem Regelkorsett vorzuziehen sei.
Vor allem die Entwicklung der westlich orientierten, mit Vorliebe in Diskotheken hausenden Tochter eines liberalen türkischen Imams bewirkt nur Kopfschütteln, setzt sie doch auf eine billige Melodramatik, die der im Ansatz interessanten Figur jegliche Glaubwürdigkeit raubt. Nach einer illegalen Abtreibung wird sie von göttlichen Strafvisionen geplagt und mutiert urplötzlich zur streng gläubigen Fanatikerin. Nicht weniger von Gewissensbissen geplagt ist der türkische Polizist, der nach einem Unfall mit der Dienstwaffe Frau und Kind verlässt, um ausgerechnet mit jener Bosnierin eine Beziehung anzufangen, die er bei dem Schusswechsel angeschossen und dabei ihr ungeborenes Kind tödlich verletzt hatte. Der Dritte im Bunde ist ein junger Nigerianer. Der Koranschüler gerät wegen seiner Homosexualität in Konflikt mit seinem Glauben. Als er am Arbeitsplatz einem Kollegen näher kommt, eskaliert ihre zaghaft aufblühende Liebe, denn die Religion erweist sich stärker als die sexuelle Neigung. In der Berliner Moschee und in einer Fischhalle kreuzen sich die Wege der drei, und auch auf der Straße geraten sie in Situationen, den anderen das Leben retten zu müssen. Gelegentlich gelingen kurze Einblicke in das Alltagsleben von Muslimen, wenn kopftuchtragende, jugendliche Frauen in der Moschee von Angelina Jolie schwärmen oder es mit der Koranfestigkeit nicht so ernst nehmen. Davon hätte man, überdrüssig der nicht endenden Tränen und Klagen, gerne mehr gesehen. Bedenklich auch, dass die Leidensgeschichten des vom rechten Weg abgekommenen Trios – immerhin findet keiner von ihnen Halt in der aufgeklärten deutschen Gesellschaft – orthodoxen Moslemgruppen gefallen dürften. Was besonders an der geballten Ladung Weltschmerz stört, ist die Musik, die jede Szene in einen unerträglichen Gefühlspathos steigert. Da die Dramaturgie den Figuren ebenfalls keinerlei Psychologie zugesteht, verkommen sie zu Trägern von Problemfällen, für die es keine Lösungen zu geben scheint. So erreicht der Film am Ende das Gegenteil dessen, was ihm wohl vorgeschwebt haben dürfte. Weder Empathie noch Interesse für den inneren Kampf seiner verlorenen Großstädter stellt sich ein. Auf den hoffentlich gereiften zweiten Film des trotz allem vielversprechenden Regisseurs darf man dennoch gespannt sein.
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