Das hätte er wohl gerne: Männer mit Biss. Vincenzo Cantones ist Oberhaupt einer süditalienischen Pasta-Produzenten-Dynastie, alteingesessen im Städtchen Lecce, wo die Welt zwischen pittoresken Gässchen und heimeligen Marktplätzen noch in Ordnung ist. Vincenzo ist ein bisschen herzkrank, ein bisschen homophob, ein bisschen cholerisch – keine gute Ausgangslage für das späte homosexuelle Coming Out seines ältesten Sohns und „Thronfolgers“ Antonio. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, dachte sich dieser wohl, als ihm sein jüngerer Bruder Tommaso dessen Plan offenbarte: Beim Geschäftsessen wollte der die Karten auf den Tisch legen und reinen Tisch machen – sein Wirtschaftsstudium in Rom ist längst der Literaturwissenschaft gewichen, er will Schriftsteller werden –, und Frauen interessieren ihn schon seit der Schulzeit nicht mehr.
Umso mehr fällt dem verhätschelten Tommaso die Kinnlade herunter, als ihm sein älterer Bruder Antonio mit dem Coming Out zuvorkommt – der prompte Herzinfarkt des Vaters war bisher nur trockene Theorie. Jetzt ist er Wirklichkeit und wird zugleich zur Einbahnstraße für Tommaso, schließlich wirft der Pasta-Patriarch Antonio nicht nur aus Firma und Familie. Ein geschwisterliches „Homo-Duo“ würde den alternden Macho wohl geradewegs ins Grab befördern.
Regisseur Ferzan Ozpetek verbrachte die letzten 30 Jahre in Italien; aufgewachsen ist er allerdings in der Türkei; von dorther stammt auch seine familiäre Prägung. Vielleicht ist das die Ursache dafür, dass er mit erfrischender Respektlosigkeit den italienischen Grundpfeiler, „la famiglia“, mit all seinen konservativen Spleens, den kleinen Vertuschungsaktionen und die Furcht um die Familienehre erschüttern kann. In Sachen Homosexualität und Machismo dürften sich beide Heimatländer nicht allzu viel schenken. Biss haben bei dem Grenzgänger Ozpetek eher die Frauen: die gern einen über den Durst trinkende Tante, aus deren Schlafzimmer nachts öfters „Einbrecher ausbrechen“; die scharfzüngige Großmutter, die einst selbst auf ihre große Liebe, den Geschäftspartner und besten Freund ihres Mannes, verzichten musste; und natürlich ihr junges Spiegelbild, die resolute, schöne Alba, die bei ihrer ersten Begegnung mit Tommaso den Wagen eines Verflossenen demoliert und sich hoffnungslos in den schwulen Pasta-Erben verliebt. Ganz anders Vincenzo, der an sich selbst andere moralische Maßstäbe anlegt, seine Frau betrügt und sich ansonsten in Selbstmitleid und dem vermeintlichen Gespött der Leute suhlt.
Die unvergesslichsten Lieben sind immer die unerreichbarsten, heißt es einmal weise. Es sind die Lieben, die nie ausgelebt werden und sich deshalb auch nicht ableben können. „Männer al dente“ weiß viele solcher Weisheiten unaufdringlich zu vermitteln und hält dabei immer etwas Spekulation in der Hinterhand. Ozpetek gelingt es, seine Figuren möglichst lange in der Schwebe zu halten: Ist Antonios ausbootendes Geständnis nur fingiert, um die Reaktion des Vaters für seinen Bruder Tommaso zu antizipieren? „Bekehrt“ Alba den schwulen Römer und lotet damit das Familienglück wieder aus? Glücklicherweise geht Ozpeteks gemeinsam mit Ivan Cotroneo verfasstes Drehbuch keiner dieser ausgelegten Fährten auf den Leim. Es bleibt mit seiner Problemstellung kompromisslos. Über mehrere Generationen wird die Tragik gespiegelt, nicht zu bekommen, was man sich am sehnlichsten wünscht, was man aber wiederum nur begehrt, weil man es nicht bekommen kann. Wie nebenher verwandelt sich die Geschichte dann auch noch in eine freche Vertuschungskomödie, als Tommasos verräterisch schwulen Freunde aus Rom plötzlich in das Familienanwesen einfallen und ihr Bestmögliches versuchen, „tuntigen“ Verhaltensweisen bei sich selbst auszumerzen – erfolgreich verkannt von den arglosen „Hinterwäldlern“.
Wie die Tarnung eines „Käfig voller Narren“
(fd 21 083) mutet das manchmal an, nur diesmal nicht zu Ehren der baldigen Schwiegereltern, sondern für den ständig am Abgrund wandelnden Vater des besten Freundes. Toleranz und die Einsicht, nicht alles gestehen zu müssen, wenn es dem Glück der Liebsten schaden würde, das sind die Prämissen, für die Ozpeteks lässig aus dem Ärmel geschüttelte Familienkomödie plädiert, die selbst für die verbohrtesten Figuren noch genug Wärme und Verständnis besitzt. Das ist nicht nur vergnüglich anzusehen, sondern beinhaltet auch so viel Wahrheit in der Einfachheit wie leckere Spaghetti Bolognese.