Forgetting Dad

Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 87 Minuten

Regie: Rick Minnich

Im Mai 1990 verlor der Vater des Filmemachers Rick Minnich nach einem Autounfall sein Gedächtnis. Knapp 20 Jahre später begibt sich der Sohn auf eine filmische Spurensuche, bei der er gemeinsam mit den Familienangehörigen auch über die möglichen Motive der Amnesie spekuliert. Ein spannender, sehr persönlicher Dokumentarfilm, der sich in der Verbindung von Trauerarbeit, kriminalistischer Recherche und medizinischen Befunden zum facettenreichen, emotional und intellektuell aufwühlenden Diskurs über die Hintergründe eines Gedächtnisverlusts verdichtet. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Hoferichter & Jacobs/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Rick Minnich · Matt Sweetwood
Buch
Rick Minnich · Matt Sweetwood
Kamera
Axel Schneppat
Musik
Ari Benjamin Meyers
Schnitt
Rick Minnich · Matt Sweetwood
Länge
87 Minuten
Kinostart
27.05.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Im Mai 1990, kurz nachdem Rick Minnich Kalifornien Richtung Europa verließ, fuhr in seiner Heimatstadt Sacramento ein Auto auf den Mini-Van auf, an dessen Steuer sein Vater Richard saß. Eine Woche später wachte Richard auf, ohne zu wissen, wer er war – neben einer ihm fremden Frau, in einer fremden Wohnung, ohne Erinnerung an seine Kinder. Die Amnesie löschte 44 Lebensjahre aus, Richard nennt sich seitdem „New Richard“. Um die Grundtechniken des Schreibens und Lesens neu zu erlernen, besuchte er wieder die Grundschule und fing kurz darauf ein neues Leben an, mit einer neuen Frau, mit der er später an einen anderen Ort zog. Was beim Rest der Familie Zweifel an der Amnesie-Version verstärkte: Ging es bei dem Gedächtnisverlust auch um eine Flucht? Rick Minnich, der kurz nach der politischen Wende ein Praktikum beim Lettischen Fernsehen absolvierte, um danach Regie an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg zu studieren, fiel in den letzten Jahren durch pointierte Sittenbilder aus der US-amerikanischen Provinz auf. Seine Filme porträtieren den konservativen Lebensrhythmus zwischen Grass Roots, Country Side und Bible Belt, ohne ein urbanes Stammpublikum mit lehrmeisterhafter Süffisanz zu bedienen. Stattdessen entwickeln die Porträts aus einem hierzulande politisch verpönten Amerika ihre analytische Kraft aus der gleichzeitigen Nähe und Distanz zu den Protagonisten – eine Methode, die bei der aktuellen Reise in die Abgründe der eigenen Familiengeschichte geholfen hat. Im Zentrum von „Forgetting Dad“ steht der Filmemacher selbst mit seinen unbeantworteten Fragen. Immer wieder geht es ans Eingemachte, bricht die Schwester in Tränen aus, wechselt die Stimmung von „New Richards“ Frau von Kooperation zu Abwehr, verliert Minnich bei verschiedenen Begegnungen, etwa mit dem ungeliebten Stiefbruder, seine sprichwörtliche Warmherzigkeit. Schicht für Schicht legt er in seinen Gesprächen (am Ende hatten Minnich und Co-Regisseur Matt Sweetwood 40 Stunden Drehmaterial zusammen) die Schattenseiten der familiären Vergangenheit frei, erfährt von den Schlägen, die sein Vater austeilte, von der Drogenkarriere seines Halbbruders, den der Kollaps der Vater-Sohn-Beziehung im Kindesalter erwischte. Mit seinem emotionalen Puzzle und facettenreichen Erkundungen liefert „Forgetting Dad“ einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über Alzheimer- und Demenzerkrankungen, nicht zuletzt, indem er der persönlich geprägten Spurensuche Mutmaßungen über die Motivation eines „bewussten Vergessens“ hinzufügt. Minnich beginnt mit der grundsätzlichen Frage: „Wenn dein Vater sich nicht mehr an dich erinnert, hört er dann auf, dein Vater zu sein?“ Bald aber schert er aus dem elegischen Grundton aus und entwickelt seine Spurensuche vorübergehend zu einem Krimi, als er auf die Rastlosigkeit – das Leben der jungen Familie war von dauernden Umzügen geprägt – und betrügerischen Machenschaften bei Richards Arbeitgeber, einer regionalen Bankgesellschaft, zu sprechen kommt. Derweil gibt es unterschiedliche ärztliche Befunde zu dem Gedächtnisverlust – und Zweifel. Schließlich schrieb der Vater kurz nach Beginn seiner Krankheit akkurat formulierte Briefe. Ist seine „dissoziative Funktionsstörung“ auch eine Verdrängung von Stress, Schlägen und Skandal, eine Insolvenzerklärung vor der Last der Verantwortung, Flucht in den Neustart? Erklärungen findet Minnich nach der mehrjährigen Recherche ebenso wenig wie sein Halbbruder Trost. Am Ende sitzt den beiden ein sichtlich gealterter, in sich zusammengesunkener „New Richard“ gegenüber, der nicht mehr gefilmt werden will.
Kommentar verfassen

Kommentieren