Drama | Frankreich/BR Deutschland 1981 | 119 Minuten

Regie: Andrzej Zulawski

Nach der Rückkehr von einer ausgedehnten Dienstreise nach Berlin muss ein Mann erkennen, seine Frau sich ihm entfremdet hat, offenbar ein Verhältnis hat und selbst ihren gemeinsamen fünfjährigen Sohn ablehnt. Doch das ist erst der Beginn: Ein drittes Wesen nicht von dieser Welt scheint von der sich mehr und mehr von ihrer Umwelt abkapselnden Wahnsinnigen Besitz genommen zu haben und motiviert sie zu immer neuen Gewalttaten gegen sich und andere. Das seit seinem Erscheinen als Skandalfilm interpretierte Werk ist ein höchst irritierender, allenfalls fragmentarisch mit Handlung gefüllter Film kafkaesker Dimension, bei dem sich das Innenleben der Protagonisten in Fleisch gewordenen Albtraumvisionen nach außen kehrt. Das im wahren Wortsinn aufopferungsvolle, an die physischen Grenzen gehende Spiel der beiden Hauptdarsteller, die unstete Kamera und die grotesken Spezialeffekte machen aus dem absurden Gewalttheater nachhaltig bewegendes Kunstkino. - Ab 18.
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Filmdaten

Originaltitel
POSSESSION
Produktionsland
Frankreich/BR Deutschland
Produktionsjahr
1981
Produktionsfirma
Marianne Prod./Oliane Pord./Some Film Prod.
Regie
Andrzej Zulawski
Buch
Andrzej Zulawski
Kamera
Bruno Nuytten
Musik
Andrzej Korzynski
Schnitt
Marie-Sophie Dubus · Suzanne Lang-Willar
Darsteller
Isabelle Adjani (Anna/Helen) · Sam Neill (Mark) · Margit Carstensen (Margit Gluckmeister) · Heinz Bennent (Heinrich) · Johanna Hofer (Heinrichs Mutter)
Länge
119 Minuten
Kinostart
13.03.2025
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Ab 18.
Genre
Drama | Horror
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Heimkino

Die Extras der mustergültigen, filmhistorisch interessanten Edition (DVD Erstauflage & BD Special Edition) enthalten u.a. einen dt. untertitelbaren Audiokommentar mit Andrzej Zulawski und Filmexperte Daniel Bird, eine 52-minütige Dokumentation zum Film und zur Arbeit des Regisseurs sowie ein vorbildliches Booklet (48 Seiten) mit Texten von Andrzej Zulawski, Jörg Buttgereit, Daniel Bird und Marcus Stiglegger. Die Edition ist mit dem "Silberling" 2009 ausgezeichnet. Erhältlich auch in einer Standard Edition (DVD, Neuauflage) ohne bemerkenswerte Extras; die Standard BD Edition enthält zumindest den Audiokommentar.

Verleih DVD
Bildstörung (16:9, 1.66:1, DD2.0 engl.)
Verleih Blu-ray
Bildstörung (16:9, 1.66:1, PCM2.0 engl.)
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Rätselhafte und verstörende Parabel mit Horrorelementen über einen Mann, der erkennen muss, dass seine Frau sich ihm entfremdet und einem monströsen Wesen zugewandt hat.

Aktualisiert am
12.03.2025 - 16:44:16
Diskussion

Es gibt wenige Filme, die derart berüchtigt sind wie Andrzej Zulawskis verstörendes, sich der Mittel des Horrorfilms bedienendes Ehedrama „Possession“. Schonungslos rätselhaft, voller religiöser Symbolik und politischer Anspielungen und von einer rohen Trostlosigkeit durchzogen, entzieht sich das radikale Werk des eigenwilligen polnischen Regisseurs bis heute jeder Einordnung.

In Deutschland ist der Film nach seiner Premiere auf den Filmfestspielen in Cannes im Jahre 1981 gar nicht erst in die Kinos gekommen. In Großbritannien zog man ihn unmittelbar nach seinem Erscheinen als sogenannten „Video Nasty“ aus dem Verkehr. Und in den USA durfte nur eine stark gekürzte Fassung erscheinen. Sicherlich hatte das etwas mit der expliziten Darstellung von Gewalt zu tun, die einer rohen, ästhetisch kaum abgemilderten Eruption gleichkommt. Für die Sittenwächter war jedoch vor allem der blasphemische Nihilismus des Films kaum verdaulich: Zulawski, der in den 1970er-Jahren eine schwere Trennung von seiner damaligen Frau durchleiden musste, fällt in „Possession“ ganz buchstäblich vom Glauben ab und lässt die inneren Dämonen der Liebe jegliche Moral hinwegfegen.

Es ist wahrlich ein Glücksfall, dass der genossenschaftliche Filmverleih Drop-Out Cinema dieses Meisterwerk des europäischen Arthouse in Zusammenarbeit mit Camera Obscura nun erneut in die deutschen Kinos bringt. Erstmalig in deutscher Fassung und in schönster 4K-Abtastung. Von seiner subversiven Wirkung hat „Possession“ nichts eingebüßt.

Eine Versuchsanordnung 

Um was es geht, lässt sich hingegen gar nicht so einfach zusammenfassen. Der Plot ist lediglich ein Rahmen oder eine lose Versuchsanordnung, um einen Reigen aus wahnhaften Projektionen, kreatürlichem Begehren und rasender Eifersucht in Bewegung zu versetzen.   

Der Spion Mark (Sam Neill) kehrt zu seiner Familie nach West-Berlin zurück und steht vor den Trümmern seines Lebens. Anna (Isabelle Adjani) offenbart ihm, dass sie die Scheidung wolle – dem gemeinsamen Kind zum Trotz. Weil er vermutet, dass es neben dem philosophisch-exaltierten Heinrich (Heinz Bennent) noch andere Liebhaber geben muss, beauftragt Mark einen Privatdetektiv, seiner Frau zu folgen. In einer schäbigen Wohnung macht dieser schließlich eine grauenvolle Entdeckung: Anna versteckt dort ein monströses Tentakel-Mensch-Wesen, mit dem sie eine intensive, auch sexuelle Beziehung pflegt und das alle, die mit seiner Existenz konfrontiert werden, in den Wahnsinn stürzt.

Parallel dazu findet Mark Halt bei Helen, der Lehrerin seines Sohnes, die seiner Frau äußerlich zum Verwechseln ähnlichsieht (und ebenfalls von Isabelle Adjani verkörpert wird), in ihrer Ruhe und Sanftheit aber der absolute Gegenentwurf ist. Helen ist das Versprechen auf eine funktionierende Beziehung, repräsentiert die Sehnsucht nach Stabilität, die im eskalierenden Strudel der Gewalt ihre dunkle Kehrseite findet.

Wer nun eine narrative Stringenz erwartet, wird maßlos enttäuscht sein. Nein, dieser Film erzählt einem im Grunde nichts. Er reißt die Abgründe auf, die sich im Herzen von Beziehungen auftun und die in einer verzweifelten, sich selbst zerfleischenden Suche nach Identität münden. „Possession“ muss, wie es der mit dem Werk von Zulawski bestens vertraute Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger immer wieder betont, mit allen Sinnen erfahren werden.

Das Innere drängt nach außen

Das liegt vor allem daran, dass jede Innerlichkeit förmlich nach außen gedrückt wird: Die Form des Films hebt sich selbst aus den Angeln, wird infiziert von der überschäumenden Raserei seiner Figuren. Mark und Anna streiten nicht einfach. Sie brüllen sich selbst heraus, verfolgen sich wie Jäger, kratzen und schlagen. Sam Neill und Isabelle Adjani steigern sich in ein Overacting, als müssten sie diese fremdartigen Emotionen vor sich selbst zur Aufführung bringen, um sie überhaupt begreifen zu können. Die Kamera arbeitet indessen wie eine Sonde, die diese Stimmungen aufnimmt und in eine andauernde Bewegung übersetzt, in der sich auch alle Figuren befinden. Nichts steht still, nichts gründet. Mit der Ehe bricht ein stabilisierendes Zentrum weg, das selbst auf einer Lüge aufgebaut ist, die es unentwegt zu verdrängen gilt. Immer auf dem Sprung, lauernd und überspringend, fordernd und kraftvoll, umkreist die Bewegung in „Possession“ die Bewegung. Der Film ist wie ein Kreis, der sich in sich selbst eindreht.

Der Titel ist dabei ein möglicher Schlüssel, um einen Weg in dieses sperrige Biest zu finden. „Possession“, das meint Besitz oder Besessenheit. Anna will nicht länger der Besitz von Mark sein. Die Besitzansprüche, die monogamen Beziehungen und der Institution der Ehe eingeschrieben sind, führen in eine Selbstentfremdung. Gleichzeitig sind alle Figuren auch Besessene: Die Frage nach dem Anderen im Selbst, nach dem, was man auch hätte werden können oder gleichzeitig ist, fernab von der Rolle in einer Beziehung, brodelt in diesem Film.

Da wären die Doppel- und Wiedergänger, die danach streben, ihr anderes Selbst auszulöschen. Ein Detektiv, der nach der Wahrheit forscht. Es gibt Verwandlungen und Geburten, Sex mit Kreaturen und eigentümlich philosophische Dialoge über Moral und Gott, die mit fremden Zungen gesprochen in den Film einbrechen. Und schließlich ist da die Sexualität als das Fremde überhaupt, das vor allem Anna befällt und in einen lustvollen, aber auch schmerzhaften Taumel versetzt. 

Von heftigen Zuckungen gebeutelt

Sexualität wird jedoch immer auch als eine Metapher der Befruchtung und Zeugung verwendet, die eine autoerotische Dimension annimmt. Es geht darum, wie man durch den Anderen zu einem Selbst kommt. In der berühmtesten Szene des Films geht Anna eine U-Bahn-Unterführung entlang. Plötzlich beginnt sie, ohne jeden Grund, in ein ekstatisches Lachen zu verfallen. Ihr Körper wird von heftigen Zuckungen gebeutelt, umhergeschleudert, in eine grausame Choreografie der Geburt gezwungen, die Körperflüssigkeiten aus dem Körper treten lässt.

In dieser Szene bringt eine Besessene etwas zur Welt, das sie in sich getragen hat – das Monster, das sie selbst ist und in der schäbigen Wohnung in Kreuzberg versteckt. Anna schläft nicht mit einem Oktopus, wie es Zulawski selbst augenzwinkernd zusammengefasst hat. Sie liebt sich selbst, liebt das, was sie im Begriff ist zu werden. „Possession“ ist damit vor allem eins: ein filmischer Exorzismus einer Beziehung und die leidenschaftliche Bejahung des Fremden.

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