Wer behaupte, es sei unnatürlich, seine Mutter zu hassen, sei ein Heuchler, sagt der etwa 16- oder 17-jährige Hubert in die Videokamera, die er sich selbst vors Gesicht hält. Sicher habe jeder seine Mutter schon einmal gehasst. Das Schwarz-Weiß-Video zeigt Ausschnitte aus seinem Gesicht, während er redet, ein Auge in Großaufnahme, eine Gesichtshälfte, die Locke, die ihm rebellisch auf die Stirn fällt. Beim einen sei es vielleicht nur eine Sekunde gewesen, in der er seine Mutter hasste, beim anderen waren es einige Tage. Bei Hubert sind es mindestens einige Monate. Wenn er 18 ist, wird er nicht müde, seiner Mutter entgegenzubrüllen, werde er für immer aus ihrem Leben verschwinden. Außer vielleicht Chantale, der alleinerziehenden Mutter, glaubt ihm das niemand. Zu sehr lebt in seinem demonstrativen, verzweifelten Hass die hartnäckige Liebe. „Es ist seltsam“, notiert er an anderer Stelle in seinem Videotagebuch, „eine Mutter zu haben, die man nicht lieben kann, aber auch nicht nicht lieben.“
Gleich in der ersten Einstellung kristallisiert sich die Abneigung Huberts im pubertären Ekel, den er der erwachsenen Autoritätsperson gegenüber empfindet, wenn er sie beim Essen beobachtet. Ein ganz normaler Kauvorgang, der, indem die Kamera der subjektiven Empfindung Huberts folgt, aber durch eine Detailaufnahme auf Chantales Mund und eine extreme Zeitlupe ins Groteske verzerrt wird, unästhetisch, abstoßend wirkt. Immer wieder setzt Xavier Dolan, der mit 20 Jahren für die Rolle Huberts fast schon zu alt, aber für ein Regiedebüt noch reichlich jung ist, solche verfremdende, ausdrucksstarke Mittel ein. Immer wieder die Zeitlupe, das Schwarz-Weiß der Videobilder, die bedrängenden Detailaufnahmen. Trotzdem überstrapaziert er den formalen Gestaltungsspielraum nicht, nutzt ihn gerade so weit, wie es die Handlung zulässt – lustvoll, vielleicht auch jugendlich verspielt, aber nie prätentiös. Geerdet wird die formale Vielfalt durch die überschaubare, fast kammerspielartige Dramaturgie. Im Wesentlichen beschränkt sich die Geschichte auf ein halbes Dutzend Handlungsorte und Figuren. Hubert beim gemeinsamen Essen mit seiner Mutter, schweigend, stichelnd oder unbeholfen versöhnlich; beide im Auto, in dem Chantale ihren Sohn zur Schule fährt, fast immer streitend. Hubert im Bett mit seinem Freund Antonin. Lässt man den frankokanadischen Zungenschlag einmal außer Acht, könnte der angeblich autobiografisch inspirierte Film, zu dem Dolan auch das Drehbuch verfasste, statt in Quebec überall spielen. Das Thema ist universell, eine Coming-of-Age-Geschichte der ernsteren Art. Huberts Homosexualität ist dabei eigentlich kein Problem. Nur dass seine Mutter erst zufällig davon erfährt, ist ein weiteres Streitthema; neben der überzogenen Anspruchshaltung Huberts, der seine Mutter für alles Glück und Unglück in seinem Leben verantwortlich macht, ohne sich um ihre Bedürfnisse zu scheren, und neben der Launenhaftigkeit Chantales, die ihrem Sohn erst alles erlaubt, aber, wenn es dann darauf ankommt, plötzlich nichts mehr davon wissen will. Endgültig eskaliert die Situation, als Chantale beschließt, ihren Sohn in einem Internat anzumelden. Wer nun handfeste Action erwartet, wird auch weiterhin enttäuscht. Das Reißerischste an Dolans mit bescheidenem Budget, aber viel Leidenschaft gefilmtem und hervorragend gespieltem Debüt ist sein Titel. Ansonsten ist es ein einfühlsamer, poetischer und erstaunlich weitsichtiger Erstlingsfilm.