Es ist noch kein Jahr her, dass die Verfilmung von Max von der Grüns Jugendbuch „Die Vorstadtkrokodile“
(fd 39 201) für eine angenehme Überraschung im Kino sorgte. 30 Jahre nach der ersten Adaption des Stoffs besaß Christian Ditter das Selbstbewusstsein, aber auch die sympathische Frechheit, die Abenteuer der „Krokodile“ radikal zu modernisieren und mit rasanter Action, flotten, politisch nicht immer ganz korrekten Sprüchen und zeitnahen Jugendinsignien „aufzupimpen“ und „hipp“ zu machen. Dass bei allem Spaß für Jugendliche sogar noch etwas von den ambitionierten Themen der literarischen Vorlage – Ausländerhass, Integration von Behinderten – übrig blieb, verlangte durchaus Respekt. Nun dreht Ditter noch einmal an der Schraube und tut das, was, bildungsbürgerlich betrachtet, bei kanonisierter Erwachsenenliteratur undenkbar wäre: Er löst die jungen Protagonisten vollends aus dem literarischen Erzählzusammenhang, macht sie quasi zu einer Trademark, so wie die „wilden Kerle“, und schreibt ihnen eine gänzlich neue Geschichte auf den Leib. Das ist ein wenig so, als würde Effi Briest weitere Abenteuer um Liebe und Selbstfindung in einer WG erleben oder Thomas Törless eine neue schlagkräftige Jugendgang gründen, weil sich solche Geschichten nun mal gut verkaufen lassen. Im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur scheint man da weit schmerzfreier, zumindest sorgloser handeln zu können, aber sei’s drum, das ist ein zu weites Feld, würde Effis Mutter wohl seufzen.
Wenn man mit dem Naserümpfen aufhört, dann muss man zumindest in diesem Fall neidlos anerkennen: „Vorstadtkrokodile 2“ ist ein guter, ausgesprochen witziger und schwungvoller Unterhaltungsfilm für junge Kinogänger, kurzweilig, frech und gar nicht mal so gedankenlos. Vieles ist „von der Stange“, wird aber geschickt und sogar selbstironisch gecovert oder recycelt – von der rasanten Eröffnung wie in einem Indiana-Jones-Abenteuer bis zur emotionsreich beschworenen Freundschaft der „Krokodile“, die so verheißungsvoll mit der gefährlichen Suche nach einem neuen Hauptquartier beginnt und dann doch an der Realität zu zerbrechen droht. Der Dortmunder Zechensiedlung, in der die meisten Kinder mit ihren Familien leben, wird nämlich der Todesstoß versetzt: Weil die Werksmaschinen versagen, geht das Unternehmen insolvent, die Siedlungshäuser werden verkauft und die Menschen arbeitslos. Die Erwachsenen lehnen sich zwar noch einmal protestierend auf, haben im Stillen aber doch resigniert und packen ihre Habseligkeiten – die sieben „Krokodile“ drohen getrennt zu werden. Doch nach dem Schock setzt deren detektivischer Verstand ein: Da waren doch nachts diese zwielichtigen Typen auf dem Werksgelände, die Zwillingsbrüder Boller – könnte da nicht jemand mit einem Sabotageakt die Entwicklung zu seine Gunsten gelenkt haben? Die Clique um Anführer Olli, Rollstuhlfahrer Kai, Hannes, der unsterblich in Maria verknallt ist, und den unentwegt Sprüche klopfenden Deutsch-Griechen Jorgo ermittelt „undercover“, zunächst in einer angesagten Disco, dann im stillgelegten Betrieb, und fahndet bald nach einem Computer-Stick, auf dem das gesamte Vorhaben eines skrupellosen Spekulanten dokumentiert ist. Dass diese Krimihandlung eher dünn und kaum tragfähig ist, spürt man erst, wenn sie zu Ende ist – zu gut unterhalten die didaktisch mitunter betont inkorrekten Sprüche über Arbeitslosigkeit und Hartz IV, geradezu reibungslos spielen sich die Kids die Bälle zu und lassen spüren, dass sie wirklich ein Team sind, auf das sie selbst, aber auch die (knapp, aber pointiert gezeichneten) Erwachsenen stolz sein können. Es macht Spaß zuzusehen, wie sie lässig und souverän mit Problemen, Vorurteilen und der Arroganz von Kais Girlie-Cousine umgehen – durch und durch kinoimmanente (Kunst-)Figuren, die doch auch ein Stück gelebten Alltag anklingen lassen. Und von den Eltern sogar erlaubt bekommen, abends fernzusehen – aber nur ARD.