Es ist ein klassisches, inzwischen fast schon etwas zu häufig erlebtes und doch immer wieder faszinierendes Motiv der Literatur und des Genrekinos: der Schritt durch rätselhafte Türen, Spiegel, Schränke oder sonstige magische Portale, der denjenigen, der ihn wagt, in parallele Welten oder andere Zeiten führt, die oft besser sind als jene, die man hinter sich gelassen hat. Meistens sind es einem Wunschtraum erwachsene Paralleluniversen, aus denen man später geläutert und gestärkt in die eigene Realität zurückkehrt; gelegentlich aber sind es auch dunkle Welten, die einen hinüber ziehen – mitunter sogar in den Tod, der einen mal sanft und tröstend vorbereitet („Rendezvous mit Joe Black“, fd 33 483), mal brachial durch Zeichen und Symbole auf sich aufmerksam macht wie in „Wenn die Gondeln Trauer tragen“
(fd 18 980), jener dystopischen Schauermär, die so deutlich an „Die Tür“ erinnert. Hier wie dort geht es um den Verlust der kleinen Tochter, die ertrinkt, ohne dass ihr der Vater, ein Künstler, zu helfen vermag; hier wie dort verliert der Vater komplett jeden Halt und sehnt sich wahnhaft nach einem Moment geschenkter Zeit, um sein Versäumnis nachträglich rückgängig machen zu können. Dass eine solche im Spannungsfeld von Realität und Übersinnlichem dann tatsächlich eintretende Situation eng mit dem eigenen Sterben des Protagonisten zusammenhängt, führt zu jeweils unterschiedlich ausfabulierten Ereignissen, wobei sich das Fantasy-Thema aus Akif Pirinçcis Roman „Die Damalstür“ (2003) als durchaus eigenständig erweist.
Es bedarf nur einiger weniger, dafür höchst prägnanter Visualisierungen der grandiosen Kamerafrau Bella Halben („Im Winter ein Jahr“, fd 38 988), um einen in die Handlung und ihre tragischen Implikationen hineinzuziehen: in die Welt des Malers David Andernach, egoistisch auf sich selbst konzentriert, fahrig arbeitend, ungeduldig mit seiner kleinen Tochter, die mit ihm auf Schmetterlingsjagd gehen will; und der sich auf ein mittägliches Liebesspiel mit der verführerischen Nachbarin einlässt, während dem die Tochter im Swimmingpool jämmerlich ertrinkt. Dann der Sprung fünf Jahre weiter auf einen seelisch zerbrochenen David, der seine Schuld nicht verkraftet, umsonst auf die Absolution durch seine Frau Maja hofft, in einer eiskalten, verschneiten Nacht seinem Leben ein Ende setzen will – und einem Schmetterling folgt, der ihn zu einer verborgenen Pforte führt. David tritt durch sie ins gleißende Licht der Sommersonne, überquert „seine“ Straße, erreicht seine Villa – und kann jetzt seine Tochter vor dem Ertrinken retten. Wie er sich in dieser glücklichen „Anderswelt“ einzurichten beginnt, sich selbst als fünf Jahre jüngeren Widersacher ausschaltet und sich mit aller Macht um eine Korrektur des bereits Geschehenen bemüht, das ist nur der Anfang von einem sich über fatale Verkettungen, makabre Erkenntnisse und immer komplizierter werdende Verbindungen ausspinnenden Ende, an dem David eine grundlegende existenzielle Entscheidung treffen muss.
„Die Tür“ erweist sich als spannender, weitgehend dichter Mystery-Psycho-Thriller, der vor allem von seinen suggestiven Bildern, einem präzise kalkulierten Umgang mit Licht und Farben, Räumen und Klängen, besonders auch dem hervorragenden Hauptdarsteller Mads Mikkelsen lebt. Die einer solchen Genre-Konstruktion fast zwangsläufig innewohnenden Logikbrüche sind zwar offensichtlich, doch ist es durchaus reizvoll, nachzuvollziehen, wie der Film mit ihnen jongliert und daraus Funken schlägt. Die Dramaturgie folgt dabei unterschwellig einer Art Schmetterlingseffekt, der auf vergleichsweise kleine Abweichungen in den Anfangsbedingungen mit großer Empfindlichkeit reagiert und im Verlauf der Ereignisse zu völlig neuen, bizarren Entwicklungen führt. Da geht es auf der Handlungsebene um das neue, immer kompliziertere Lügengeflecht Davids, mit dem er nun alles besser machen, die Liebe seiner von ihm enttäuschten Ehefrau zurückgewinnen und einen aufrichtigen „Platz im Leben“ erobern will; es geht um die teils drastischen Mittel, mit denen dieser Platz behauptet werden muss, und um die weiteren Schicksale von Menschen, denen es nicht anders geht als David: Menschen, die schuldig wurden, die umkehren wollen und ebenfalls „die Tür“ durchschritten haben oder noch durchschreiten, um aus einem vermeintlichen Paradies, das ihnen eine zweite Chance versprach, eine Hölle aus Mord und Totschlag, Angst und Verzweiflung zu machen. Dies ist die reizvolle Metaebene des Films, die dank der formalen Verdichtung intensiver durchscheint als die primäre Fabel selbst, die sich vom mörderischen Nachbarn über leicht somnambule Weltflüchtlinge bis zur wirren Liebes- und Schuldkonstellation um David und Maja manchmal durch ein recht dickes Gestrüpp arbeitet.