Streng genommen, müsste Lauras Stern längst wieder am nächtlichen Firmament hängen, nachdem der kleine magische Himmelskörper der Siebenjährigen lange Zeit ein guter Freund war. Er hatte ihr beigestanden, als ihr ein Umzug in die große Stadt Sorgen bereitete, hatte sie zu mancher kindlichen Einsicht geführt und sie gelehrt, dass selbst ein Abschied eine Form von Freundschaft sein kann. Das Besondere an dem Kinderanimationsfilm „Lauras Stern“
(fd 36 714) war, wie spielerisch sanft und fließend die Grenzen zwischen Lauras Fantasiewelten und jenen Anforderungen gezogen wurden, die die Realität an ein Kind stellt. Kindliche Träume waren ein konstitutiver, „heilsamer“ Teil menschlicher Selbstfindung, und da es auch für Kinder immer wieder neue Herausforderungen gibt, ist es wohl nur konsequent, dass Laura ihren Stern zurück bekommt, als es auf eine aufregende Reise geht: Ihre Mutter, eine Cellistin, wurde zu einem Konzert nach Beijing eingeladen; in der großen Oper soll sie zum chinesischen Neujahrsfest gemeinsam mit einer Pipa-Spielerin ein Konzert geben. Die ganze Familie reist mit: Laura, ihr kleiner Bruder Tommy, ihr Vater, die Stofftiere – und natürlich der Stern. Der hat zwar gewisse Schwierigkeiten bei der Gepäckkontrolle, startet aber wacker durch und begleitet Lauras Flug einfach außerhalb der Maschine. Bald schweben er und Laura losgelöst von allem „Wirklichen“ durch den Himmel – bis sich eine dunkle Vorahnung einschleicht und Ängste aufkommen. Der Stern stürzt ab, Laura erwacht und muss sich allein im unbekannten Beijing zurecht finden – zumindest vorerst, bis sie eine gute Freundin findet.
Allein schon diese Hinführung, in der sich Laura praktisch wie gefühlsmäßig auf ihre China-Reise vorbereitet, ist eine so farbenprächtig verdichtete Folge von Details, dass es einem den Atem verschlägt. Höchst akribisch gezeichnete, gemalte und animierte Alltagsszenen leuchten in wohltuenden nächtlichen (Traum-)Farben und werden stimmungs- und facettenreich ins Poetische überhöht, wobei das Auge des staunenden Betrachters lustvoll flanieren und sich einleben kann in Lauras Welt – auch und ganz besonders der kindliche Betrachter, denn anders als vergleichbare US-Animationsfilme ist auch dieser „Laura“-Film kein bloßes Family Entertainment, sondern ein richtiger, echter Kinderfilm, der sich stets respektvoll, ebenso aufmerksam wie einfühlsam auf Augenhöhe seiner kleinen Protagonisten bewegt. Dass hier so viel an visueller und vor allem auch musikalischer Sorgfalt in einen Kinderfilm investiert wurde, ist ein kleines Wunder und allenfalls mit der Begeisterung der Macher selbst zu erklären, die in ihrer deutsch-chinesischen Zusammenarbeit diverse Animationsformen und -techniken fabulierfreudig ausprobieren und miteinander in Einklang bringen. Tatsächlich kommt es dabei zum vielschichtigen interkulturellen Zusammenwirken: Wenn sich westliche und östliche Musik verbindet, wenn sich Menschen näher kommen, Legenden und Alltag, Fremd-Exotisches und eigenes Denken und Fühlen aneinander reiben, dann können selbst kleine Zuschauer die Fähigkeit entwickeln, sich spielerisch und im guten Sinne „naiv“ in Verhaltensweisen einer anderen Kultur und Lebensweise einzufühlen, sie zu verstehen und daraus fürs eigene Verhalten zu lernen.
Auf der Handlungsebene spiegelt sich dieses Miteinander in Freundschaft und Gemeinsamkeit in der alten chinesischen Legende des Nian-Monsters, das in der Neujahrsnacht Angst und Schrecken verbreitet und eine Dunkelheit bringt, die nur besiegt werden kann, wenn noch ein Stern leuchtet; andererseits realisiert es sich in einer Laura gleichberechtigt zur Seite gestellten chinesischen Protagonistin: Ling-Ling findet Lauras Stern zu Beginn in der weiten Steppe der inneren Mongolei, bringt ihn nach Beijing, wo die Mädchen von kleinen Rivalinnen um die Gunst des Sterns zu Verbündeten werden. Gemeinsam retten sie einen knallbunten, fresssüchtigen Papierdrachen aus dem Bühnenrepertoire der Oper, der durch den Stern zum Leben erweckt wurde, vor den Nachstellungen des wolkenförmigen Nian-Monsters – was durchaus bedrohlich und spannend ist, sich aber stets sanft im Fantastischen bricht: Alles könnte auch nur die pompöse Bühnendarbietung sein, für die Lauras Mutter ihre Musik beisteuert. Da ist es dann wieder: dieses schöne Schweben zwischen Realität und Träumen, aus denen (nicht nur) Kinder Kraft schöpfen, wobei man wie auf einem fliegenden Teppich schwerelos durch magische Bilderwelten gleitet – durch Farben und Formen, Schattierungen und Spiegelungen, Töne und Klänge.