Er rubbelt an seinen Nasenflügeln, reißt die Knopfaugen auf, schnippst und streckt den rechten Zeigefinger gen Himmel, oder besser gen Asgard. Fast meint man, ein Glühlämpchen würde über seinem Topfhaarschnitt angeknipst. Dieses fehlt allerdings in Michael „Bully“ Herbigs gar nicht so comic-hafter Interpretation des rotschöpfigen Knaben, der zu Beginn der 1970er-Jahre erfolgreich aus den Kinderbüchern „Vicke Viking“ des Schweden Runer Jonsson auf die Bildschirme schlüpfte. Mit dabei: Sein brummbäriger Vater Halvar, die sich ständig kabbelnden Tjure und Snorre oder der gemütlich-dickleibige Junggeselle Faxe. Und natürlich das strohblonde Wikingermädchen Ylvi, das bei Herbig ihrem Schwarm Wickie schon mal ein „Er ist sooo süß“ hinterherseufzt und danach kräftig in einen fast noch zappelnden Fisch beißt. In 78 Episoden schickte das ZDF die rudimentär gezeichneten, aber umso spannenderen Abenteuer des kleinen Wikingers und seiner trotteligen Dorfbewohner über den Äther und zog damit eine Fan-Generation an, die nun wiederum mit ihren Sprösslingen nostalgisch erste Fernseherfahrungen aufleben lassen kann. Ein Stoff für Kinderträume: Ein schmächtiger Junge, der das, was ihm an körperlicher Kraft im Vergleich zu den „starken Männern“ fehlt, durch umso mehr Grips wettmachen kann – und damit ganz nebenbei in Frage stellt, was einen „richtigen Mann“ denn ausmacht: trainierte Muskelfasern oder vernetzte Hirnsynapsen? Eine Identifikationsfigur, die in altnordischer Kulisse spannende Räubergeschichten durchlebt und diese immer zu einem guten Ende bringt, indem sie, obwohl von allen unterschätzt, dank ausgefuchster Vorschläge den Karren aus dem Dreck zieht.
Herbig hat diesen „Dreck“, in dem Halvars Mannen stecken bleiben, aus verschiedenen Episoden zusammengeklaubt, sodass Bild- und Wortzitat-Sucher nicht im Dunkeln tappen: Der schreckliche Sven beraubt Wickies Dorf Flake, getarnt durch ein furchteinflößendes Geisterschiff, seiner Kinder. Denn nur ein unschuldiges Herz soll dem Horn von Töle jenen Ton entlocken können, der Halvars schärfstem Konkurrenten den Weg zu einem sagenumwobenen Schatz eröffnet. Wickie entgeht dem Kidnapping, weil er nach einem misslungenen Drachenflug-Versuch in den Wipfeln eines Baums hängen blieb. Besonders der Verlust von Ylvi macht ihm zu schaffen. Als Halvar die Verfolgung aufnimmt, hat er nicht nur eine chinesische Artistin an Bord, sondern auch einen blinden Passagier aus eigen Fleisch und Blut.
„Wickie“, „Der Schuh des Manitu“
(fd 34 974) und „(T)Raumschiff Surprise“
(fd 36 620): An den Filmen von Michael Herbig lässt sich die Fernsehsozialisation einer ganzen Generation ablesen. Die Detailverliebtheit, mit der der mittlerweile 41-Jährige diesen TV-Klassikern huldigt, gleicht sich in allen seinen Filmen; den Parodie-Anstrich, der in „Der Schuh des Manitu“ und „(T)Raumschiff Surprise“ oft zur Nummernrevue verkam, hat er sich in „Wickie“ gespart. Im Gegensatz zu den liebevoll, mit einem dicken Augenzwinkern aufs Korn genommenen Karl-May-Filmen und den „Raumschiff Enterprise“-Folgen ist „Wickie“ eine pure Hommage an eine Figur, die Herbig wahrscheinlich am nächsten kommt: an das gewitzte Kind im Manne, das er in der Marketing-Maschinerie der holpernden Humorfabrik Deutschland so oft herauskehren muss.
Dass Herbig diesmal komplett ohne tuntig angehauchten Klamauk auskommt und auch sonst bemerkenswert wenigen Wikingern etwas auf den Kopf fallen lässt, macht „Wickie“ zu einem erstaunlich gelungenen Familienfilm, dessen Humor im Vergleich geradezu erwachsen daherkommt. Das kindgerechte Abenteuer lädt zum Mitfiebern und die bärbeißige Wikingergemeinschaft aus einem originalgetreu gecasteten Ensemble zum Schmunzeln ein. Cameos von Hannah Herzsprung und Nora Tschirner werden ebenso angenehm zurückhaltend inszeniert wie der deutsche Titelsong bei einer Wasserski-Einlage, während Christoph Maria Herbst mit Riesennase als Pokka und Günther Kaufmann als Schrecklicher Sven bis zur Unkenntlichkeit das Maß an Bösartigkeit überziehen dürfen. Vielleicht tat es „Wickie“ gut, dass sein kleiner Held nicht zum überdrehten Figurensortiment der „Bullyparade“ gehört und sich den Erwartungen der Fangemeinde entzieht. Und dass sich Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Herbig diesmal selbst nur eine kleine Nebenrolle auf dem Wikingerboot zugestand, um sich ganz darauf zu konzentrieren, den Film vom Regiestuhl aus sicher durch die Untiefen des Komödiengenres zu manövrieren.