Autobiografisches Filmessay der 80-jährigen Agnès Varda, die anhand der Bildmetaphern von Meer und Ufer ihren Lebensspuren nachgeht. Fotos, Filmsets und Ausschnitte aus ihren Filmen tauchen dabei als Strandgut auf; ehemalige Weggefährten halten Zwiesprache mit ihr, Erinnerungen tanzen wie Wellen. Ein betont subjektives, vor inszenatorischen Einfällen sprühendes Selbstporträt, das sich auch als Reflexion über das Filmemachen lesen lässt. Das sommerlich leichte, zwischen Dokumentarfilm und Tagtraum oszillierende Bildermosaik betört mit sanfter Melancholie.
- Sehenswert ab 16.
Die Strände von Agnès
Dokumentarfilm | Frankreich 2008 | 110 Minuten
Regie: Agnès Varda
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Filmdaten
- Originaltitel
- LES PLAGES D'AGNÈS
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Ciné-Tamaris/arte France Cinéma
- Regie
- Agnès Varda
- Buch
- Agnès Varda
- Kamera
- Julia Fabry · Hélène Louvart · Arlene Nelson · Alain Sakot · Agnès Varda
- Musik
- Joanna Bruzdowicz · Stéphane Vilar
- Schnitt
- Baptiste Filloux · Jean-Baptiste Morin · Agnès Varda
- Länge
- 110 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Schon ihr erster Film „La Pointe Courte“ (fd 5517) war eine Hommage an das Meer. Die halbdokumentarische Arbeit erzählte im Jahr 1954 vom Leben in einem südfranzösischen Fischerdorf und gab noch vor Godard und Truffaut den Startschuss für die Erneuerung des französischen Kinos. Mit dem autobiografischen Filmessay „Die Strände von Agnès“ kehrt die „Oma der Nouvelle Vague“ nun zu diesen Anfängen zurück. Die Autorin, Fotografin, Regisseurin und Kamerafrau hat sich wieder einmal ihrer Lieblingsbeschäftigung gewidmet: dem Suchen und Sammeln. Diesmal sind es Küsten und Ufer, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben, denen die Kamera nachspürt.
Wenn man sich mit Menschen befasst, fände man Landschaften, sagt die 1928 geborene Agnès Varda. Bei ihr fände man Strände; und die erweisen sich in ihrem betont subjektiven Selbstporträt, das sich auch als eine Reflexion über das Filmemachen lesen lässt, als Fundgrube der eigenen Biografie. Preise der Filmfestivals, Palmen-Zweige, Bären und Markus-Löwen trotzen in einer Szene den Wellen und ihrer Verfallszeit. Da verwundert es nicht weiter, wenn Agnès Varda wenig später mit ihrem Regiefreund Chris Marker in Gestalt einer interviewenden Pappkatze über Zeit und Erinnerung philosophiert. Die Kamera platziert sie mitunter schon mal im Sand, stellt ein Dutzend Spiegel auf, in denen die Mitglieder ihrer Crew zu sehen sind, und lässt die Erinnerungen assoziativ tanzen. Etwa an die Strände der belgischen Küste, wo ihre Familie bis 1940 ihren Urlaub verbrachte. Im Hafen der Mittelmeerstadt Sète lebten die Vardas dann während der Besatzungszeit auf einem Boot. Nicht zu vergessen ihr geliebtes Venice Beach, als sie mit ihrem Ehemann Jacques Demy in den 1960er-Jahren nach Los Angeles zog, um die Black Panther und die demonstrierenden Studenten zu filmen. Und immer wieder die Strände der Insel Noirmoutier, wo das Paar eine Zuflucht fern der Politik fand.
Arbeit und Privates lassen sich bei der Verfechterin der „cinécriture“ nicht getrennt voneinander erzählen, weswegen sie es sich auch nicht nehmen lässt, direkt in die Kamera zu sprechen und persönliche Gedanken und Gefühle in traumartige Bilder zu übersetzen. Es ist die Rede von ihrer feministischen Phase, von den Initialzündungen für ihre Filme, die aber nie im Vordergrund stehen, höchstens als fragiles Material der immer auch lückenhaften Erinnerungsarbeit. Selbst Paris kann die kleine rundliche Frau, sie nennt sich selbst „kleine alte Dame“, dank gewagter Inszenierungseinfälle ein maritimes Flair abgewinnen; von einem Segelboot aus erinnert sie sich an ihr Wirken in der Stadt. Drei LKW-Ladungen Sand vor dem Büro ihrer Produktionsfirma genügen später, um die Straße in einen Strand zu verwandeln und ihr Team in einen Kurzurlaub zu schicken. Immer wieder sieht man sie rückwärts gehen, ein bisschen verrückt und inmitten ihrer weiß gekleideten Kinder und Enkel, vor Einfällen sprühend, am Strand spazieren. Der Versuch, die Zeit zurückzudrehen, gelingt in dieser Mischung aus „Dokumentarfilm und Tagtraum“ wie von Zauberhand. Fotos, Filmsets und Ausschnitte aus Filmen wie „Mittwoch zwischen 5 und 7“ (fd 11 165) oder „Vogelfrei“ (fd 25 543) spielen als suggestiv angeordnetes Strandgut mit. Ihrem Gedächtnis gönnt Agnès Varda auch einen Auftritt. „An jedem zweiten Tag ging einer von uns über Bord“, erzählt sie aus dem Off und lässt Kinder in Schwimmwesten in ein Hafenbecken springen. Die nachgestellte Szene ist weder nostalgisch noch poetisch, sondern so spielerisch wie der ganze uneitle Dokumentarfilm, der, ausgezeichnet mit einem „César“, einem Bildermosaik ähnelt, das durch seine sommerliche Leichtigkeit und sanfte Melancholie betört.
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