Dokumentarfilm | Deutschland 2009 | 86 Minuten

Regie: Shaheen Dill-Riaz

Dokumentation über die Koranschulen in Bangladesh, die die Popularität dieser "Madrasas" vor dem Hintergrund der sozialen und historischen Entwicklung und damit die Erstarkung des politischen Islam erklärt. Die sachlich argumentierte Bestandsaufnahme enthält sich jeder Wertung, weist aber gerade deshalb eindringlich und exemplarisch auf die Spaltung der Gesellschaft in islamisch dominierten wirtschaftsschwachen Ländern hin. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Mayalok Filmprod./ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Shaheen Dill-Riaz
Buch
Shaheen Dill-Riaz
Kamera
Shaheen Dill-Riaz
Musik
Eckart Gadow
Schnitt
Andreas Zitzmann
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Der in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh, geborene Filmemacher Shaheen Dill-Riaz studierte Kamera an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg. Mit „Sand und Wasser“ (2002) und „Eisenfresser“ (fd 38753) legte er zwei beeindruckende Dokumentarfilme über den Lebensrhythmus, wirtschaftliche Not und Alltag in einer Region vor, die hierzulande als „indischer Subkontinent“ bezeichnet wird. Als Dill-Riaz vor einigen Monaten seine Heimatstadt besuchte, beobachtete er ein Phänomen, das vor 16 Jahren noch undenkbar war: Jedes Jahr treffen sich bis zu drei Millionen Muslime der Religionsgemeinschaft Tablighi Jamaat in der Achtmillionenstadt – das größte Pilgertreffen nach Mekka. Er beschloss, sich ebenfalls „das weiße Gewand überzuziehen“ und einen Film über die Madrasas, die Koranschulen in seinem Land, zu machen. Eigentlich darf wegen eines Bilderverbots in den Madrasas gar nicht gefilmt werden, doch dank guter Beziehungen durfte Dill-Riaz dann doch eine Schule in Amirabad mit der Kamera besuchen. Dort sieht man zunächst Bilder von Kindern, die auf dem Boden sitzen und beim Rezitieren von Koranversen ihre Oberkörper vor- und zurückwiegen, was die spirituelle Durchdringung befördern soll. 6234 Verse lernen diese Kinder – auf Arabisch, also in einer Sprache, die sie nicht verstehen. Danach können sie als Hafiz, als Koranlehrer und Vorbeter, arbeiten. Dill-Riaz, selbst in einer Familie groß geworden, in der die religiöse Praxis liberal gehandhabt wird, respektiert die Spiritualität der Koranschulen, stellt aber grundlegende Fragen. „Stirbt ein Schüler, wenn man ihn schlägt?“, fragt ein Lehrer rhetorisch. Und sein Kollege erklärt, dass es nicht ums Verstehen des Korans ginge, sondern um die korrekte Wiedergabe der Laute. Dabei müssten sich die Schüler „klein machen“. Derartige Holzhammer-Pädagogik ist in Bangladesh nicht unumstritten, denn Schulabbrecher haben auf dem Bildungsmarkt keine Chance, und das stupide Auswendiglernen in einer fremden Sprache wird von Vertretern der Mittelschicht als Weg in die bildungspolitische Sackgasse kritisiert. Dennoch erfreuen sich die Koranschulen großer Popularität – von insgesamt 90.000 Schulen in Bangladesh sind 10.000 Madrasas. Viele schicken ihre Kinder dort hin, weil, so ein Vater, die Eltern „im Jenseits ein besseres Leben haben“, wenn ihr Sohn Hafiz wird. Obwohl auch die Mittelschicht ihre Kinder in die Madrasas schickt – Dill-Riaz besucht auch eine Mädchenschule, deren Schülerinnen „mit ihrer islamischen Lebensweise in der modernen Gesellschaft erfolgreich sein“ sollen – sind die Schulen vor allem bei Ärmeren beliebt. Sie funktionieren als Internate, die Kinder haben ein Dach über dem Kopf und geregelte Mahlzeiten, und die Ausbildung des Sohnes zum Hafiz verspricht neben der Besserbehandlung nach dem Tod auch einen Beitrag zum Familieneinkommen während des irdischen Daseins. Zu der sozialen kommt eine historische Dimension: Mit der Ablehnung des während der englischen Kolonialherrschaft etablierten viktorianischen Bildungssystems entstand in breiten Bevölkerungskreisen eine Lücke, die von den Madrasas ausgefüllt wurde. Inzwischen, so Dill-Riaz, hat die Popularität des religiösen Islam auch zur Stärkung des politischen Islam geführt. An den Universitäten würde heute nicht mehr über das „Linkssein“, sondern über den Islam diskutiert. 2003 formulierte der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: „Können wir jeden Tag mehr Terroristen festnehmen und töten oder von ihren Taten abhalten, als die Madrasas und die radikalen Geistlichen rektrutieren, ausbilden und auf uns loslassen?“ Wenn man, wie Dill-Riaz, genauer hinsieht, kann man diesen Kausalzusammenhang getrost als politische Propaganda abtun. Gleichzeitig versteht man, wie die Spaltung der bengalischen Gesellschaft in Arm und Reich auch eine prekäre politische Spaltung erzeugt hat. „Korankinder“ beginnt mit exotisch wirkenden Bildern, um dann klug und sachlich eine Argumentationskette aufzubauen, mit der die zentrale Sollbruchstelle eines 153,5-Millionen-Einwohner-Landes vorgeführt wird – unvoreingenommen, aber eindringlich und durchaus exemplarisch. Der Regisseur steht dem Massenphänomen Islam in seinem Land noch immer distanziert gegenüber, kann dessen Popularität nun aber nachvollziehen.
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