Eine 15-jährige Schülerin, die unter ihrer Pubertät leidet und sich nach Normalität sehnt, macht sich auf die Suche nach ihrem jüngeren Bruder, der scheinbar spurlos verschwunden ist. Ein filmischer Parforceritt, dem es auf atemberaubende Weise gelingt, das Chaos in der Seele seiner Protagonistin nachempfindbar zu machen, indem er sich von einer gängigen narrativen Struktur verabschiedet und vielfach gebrochen mit Fragmenten jongliert. Die außergewöhnliche Inszenierung und eine fabelhafte Hauptdarstellerin hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck.
- Ab 16.
Tracey Fragments
- | Kanada 2007 | 80 Minuten
Regie: Bruce McDonald
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE TRACEY FRAGMENTS
- Produktionsland
- Kanada
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- Shadow/Tracey Fragments
- Regie
- Bruce McDonald
- Buch
- Maureen Medved
- Kamera
- Steve Cosens
- Musik
- Broken Social Scene
- Schnitt
- Jeremy Munce · Gareth C. Scales
- Darsteller
- Ellen Page (Tracey Berkowitz) · Maxwell McCabe-Lokos (Lance) · Ari Cohen (Mr. Berkowitz) · Erin McMurtry (Mrs. Berkowitz) · Zie Souwand (Sonny Berkowitz)
- Länge
- 80 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Wenn man erst einmal den hauchdünnen roten (Erzähl-)Faden von Bruce McDonalds Film aufgenommen hat, der einem durch die eigenwillige Struktur des Films aber ständig immer wieder zu entgleiten droht, ist „Tracey Fragments“ im Grunde einfach zu lesen: Die 15-jährige Tracey Berkowitz sucht ihren spurlos verschwundenen neunjährigen Bruder Sonny, an dessen Verschwinden sie nicht ganz unschuldig ist. Doch um dies zu erahnen, brauchen Tracey und der Zuschauer fast bis zur letzten Einstellung des Films. Der kanadische Regisseur Bruce McDonald, der in den 1990er-Jahren durch Filme wie „Dance me Outside“ (fd 31 637) oder „Hard Core Logo“ (fd 32 276) auf sich aufmerksam machte, begnügt sich nicht damit, die reale Suche seiner Titelheldin zu inszenieren, sondern er bebildert jene Bewegung, die in ihrem Kopf und in ihrer Seele stattfindet, und ringt um einen Ausdruck für jenes pubertäre Chaos, das im Inneren von Teenagern tobt. Dabei geht es um die Sehnsucht nach Rückhalt und danach, ein „ganz normales Mädchen“ zu sein, das allerdings am Rande des Wahnsinns taumelt.
McDonald arbeitet sich an der Gleichzeitigkeit von Gefühlen, Träumen und Gedanken seiner komplexbeladenen Protagonistin in einer Form ab, die lineare Erzählmuster weit hinter sich lässt. Mitunter wird dies ins Absurde, kaum mehr Nachvollziehbare gesteigert, wenn die Leinwand (bzw. der Bildschirm) in bis zu zehn Bildfragmente aufgeteilt wird. Zur gleichen Zeit wird man auf diese Weise mit mehreren Filmen konfrontiert und verliert – genau wie Tracey – dabei die Orientierung, taumelt wie die Hauptfigur durch einen faszinierenden Film. Das Ergebnis ist die Auflösung jeder Struktur, die Fragmentarisierung des Erzählens, vergleichbar mit dem aus der Literaturwissenschaft bekannten „stream of consciousness“. Unterm Strich bleibt das kluge Bild einer Heranwachsenden, die sich selbst nur in Splittern wahrnehmen kann und in einer Welt voller böser Erfahrungen (im verständnislos-autoritären Elternhaus oder auf der zweitägigen Suche nach dem Bruder) nach Zuflucht und Besinnung fahndet. Nur zweimal kommt der rastlose Film zum Stehen und schöpft Atem: Nach einer kurzen sexuellen Begegnung mit dem angehimmelten Klassenkameraden, der Tracey wenige (Schweige-)Sekunden „danach“ kaltherzig aus dem Auto wirft, und ganz am Ende, wenn Tracey ihre Fragmente geordnet zu haben scheint und mit den Worten „Ich bin ein ganz normales Mädchen. Niemand kann mich aufhalten, niemand bringt mich zum Stillstand“ auf die Kamera zugeht. Das kann ein hoffnungsvolles Zeichen für die zukünftige Entwicklung sein, aber auch eine Drohung.
„Tracey Fragments“: Schon der kurze, aber prägnante Titel deutet auf die Verfassung der Hauptperson hin. Der Film ist eine inszenatorische Glanzleistung. Für die junge Hauptdarstellerin Ellen Page („Juno“, fd 38 618), die sich einmal mehr allen Rollenklischees verweigert, bietet er eine Plattform für ihr außergewöhnliches Talent; doch auch für den Zuschauer, der dem Sog der Bilder, Eindrücke und Gedanken zunächst hilflos ausgeliefert ist, wird er zur Herausforderung. Bruce McDonald gelingt tiefgründige Unterhaltung auf hohem intellektuellem Niveau – eine kunstvoll überhöhte Konfrontation mit der Wirklichkeit, ein vielschichtiger Bildersturm, der lange nachwirkt.
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