Ein alter Mann, der als Putzkraft am Flughafen von Amman arbeitet, wird von Kindern seiner Nachbarschaft für einen Piloten gehalten. Auf ihr Drängen hin unterhält er sie mit spannenden Geschichten über angebliche Flugabenteuer. Als der Schwindel auffliegt, wendet sich der Erzähler mehr dem beschwerlichen Leben seiner kleinen Zuhörer zu und versucht, ihnen hilfreich zur Seite zu stehen. Dem ebenso poetischen wie klugen Regiedebüt gelingt es dank eines charismatischen Hauptdarstellers und einer ausgereiften Bildsprache, jordanische Moderne und Tradition, Realität und Utopie vielschichtig zu verschränken.
- Sehenswert ab 12.
Captain Abu Raed
- | Jordanien/USA 2007 | 102 Minuten
Regie: Amin Matalqa
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- CAPTAIN ABU RAED
- Produktionsland
- Jordanien/USA
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- Paper and Pen Films/GigaPix Studios
- Regie
- Amin Matalqa
- Buch
- Amin Matalqa
- Kamera
- Reinhart Peschke
- Musik
- Austin Wintory
- Schnitt
- Laith Majali
- Darsteller
- Nadim Sawalha (Abu Raed) · Rana Sultan (Nour) · Ghandi Saber (Abu Murad) · Dina Ra'ed-Yaghnam (Um Murad) · Nadim Mushawar (Sameh)
- Länge
- 102 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12 (DVD)
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
„Es war einmal ein Mann namens Captain Abu Raed ...“ Mit diesen aus dem Off gesprochenen Worten klingt der (laut Presseheft) erste jordanische Spielfilm aus, der außerhalb Jordaniens im Kino zu sehen ist. Der Debütfilm des in Jordanien aufgewachsenen, aber seit seiner frühen Jugend in den USA lebenden Drehbuchautors und Regisseurs Amin Matalqa macht also keinen Hehl aus dem märchenhaften Charakter seiner Geschichte. Der Titelheld Abu Raed ist ein älterer, bärtiger Mann, der als Reinigungskraft auf dem Flughafen in Amman arbeitet und ein einsames, zurückgezogenes Leben in einem Arbeiterviertel von Amman verbringt, bis ihn eines Tages ein Junge, der ihn für einen Piloten hält, bittet, ihm von seinen Reisen zu erzählen. Abu Raed versucht den Knaben zunächst abzuwimmeln, doch der kehrt mit einer ganzen Schar von Kindern aus der Nachbarschaft zurück. Da der alte Mann Bücher und Geschichten liebt und die Kinder nicht enttäuschen möchte, erfindet er allerhand Anekdoten vom Fliegen und gibt so nicht nur den Träumen seiner jungen Zuhörer Nahrung, sondern stillt zugleich auch sein eigenes Fernweh.
„Captain Abu Raed“ folgt bewusst den Spuren moderner Kinomärchen wie François Dupeyrons „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ (fd 36 415) und erzählt die wunderbare Geschichte eines warmherzigen Mannes, der sich der Kinder seines Viertels annimmt und die Welt um sich herum ein wenig besser machen möchte. Weder der Film noch Hauptdarsteller Nadim Sawalha brauchen sich dabei vor einem Vergleich mit „Monsieur Ibrahim“ oder Omar Sharif zu fürchten. Sawalha erzeugt dieselbe magische Kinopräsenz wie einst Sharif. Sein Lächeln, seine tiefgründigen, traurig zärtlichen Blicke lassen eine lebendige, charismatische Persönlichkeit entstehen, die von Beginn an in Bann schlägt. Anders aber als die wohltuend schwelgerische Poesiealbum-Idylle von Dupeyrons Literaturverfilmung reibt sich Matalqas poetischer Film vehement an der oft düsteren sozialen Realität. Das herzerwärmende Märchen wird wiederholt mit dieser rauen Wirklichkeit konfrontiert und hält ihr keineswegs immer stand.
Die orientalischen Flugmärchen-Erzählungen bilden dementsprechend nur ein eher einleitendes Kapitel. Die schöne, kollektive Illusion vom Fliegen zerplatzt, als der Nachbarsjunge Murad Abu Raed verrät. Doch der alte Mann wendet sich dann nicht etwa von den Kindern ab, sondern ihnen erst richtig zu, indem er ihre tatsächlichen Lebensumstände wahrnimmt. Einer der Jungen verkauft Süßigkeiten auf der Straße, anstatt in die Schule zu gehen. Und Murad wird von seinem Vater, einem cholerischen Alkoholiker, brutal misshandelt. Abu Raed versucht den beiden zu helfen, um ihnen die Chance auf eine bessere Zukunft zu eröffnen. Unterstützt wird er dabei von Nour, einer echten Pilotin, die Mitte dreißig und noch unverheiratet, aber beruflich erfolgreich ist und damit eine Herausforderung für die traditionelle jordanische Gesellschaft darstellt. Darin, dass Abu Raed sich mit ganzer Seele und grenzenloser Opferbereitschaft für die Kinder einsetzt, in seiner selbstlosen humanistischen Haltung also, besteht das eigentliche Märchen des Films. Daraus gewinnt er seine tief bewegende, emotionale Wirkung. Wunder bleiben allerdings aus. Doch gerade weil er ein umfängliches Glücksversprechen verweigert, hebt der vielschichtige Plot „Captain Abu Raed“ über lineares Wohlfühlkino hinaus auf eine höhere künstlerische Stufe. Matalqas Film verschränkt nicht nur das moderne mit dem traditionellen Jordanien, sondern auch die Welt, wie sie ist, mit der, wie sie sein sollte. Der deutsche Kameramann Reinhart Peschke fängt diese Bandbreite in ruhigen, aber dynamischen Bildern ein. Anfangs herrscht eine lyrische, sonnendurchflutete Fotografie mit gemächlichen Fahrten und harmonischer Montage vor. Später aber bricht die Realität auch optisch in gelegentlich dunkleren, unruhigeren Bildern und schnelleren, ruppigeren Schnitten über den Film herein – ohne seine menschenfreundliche und sanftmütige Grunderzählhaltung dadurch in Frage zu stellen. Aus einer dezidiert innerarabischen Perspektive erschafft Autorenregisseur Amin Matalqa auf diese Weise einen Film, der die Kraft und Reife eines Meisterwerks besitzt.
Kommentar verfassen