Morgentau (2008)

- | Äthiopien/Deutschland/Frankreich 2008 | 138 Minuten

Regie: Haile Gerima

Ein äthiopischer Arzt kehrt 1990 in sein Heimatdorf zurück, wo noch die Erinnerungen an die Schrecken aus dem italienisch-äthiopischen Krieg präsent sind. Doch auch die Gegenwart des marxistischen Regimes entpuppt sich nicht als Verwirklichung jener Utopie, an die der Mediziner einst glaubte. Anhand der Erlebnisse und Erinnerungen eines körperlich wie geistig versehrten Intellektuellen entwirft der Film ein Mosaik der äthiopischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Die Figuren geraten zu Repräsentanten politischer Haltungen ohne Eigenleben, sodass der thematisch überfrachtete Stoff zum zwar engagierten, aber allzu steifen Polit-Kino gerinnt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TEZA
Produktionsland
Äthiopien/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Negod-Gwad Prod./Pandora Filmprod./Unlimited/WDR
Regie
Haile Gerima
Buch
Haile Gerima
Kamera
Mario Masini
Musik
Vijay Iyer · Jorga Mesfin
Schnitt
Haile Gerima · Loren Hankin
Darsteller
Aaron Arefe (Anberber) · Takelech Beyene · Abiye Tedla · Teje Tesfahun · Nebiyu Baye
Länge
138 Minuten
Kinostart
05.05.2011
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Diskussion
Bereits der Schauplatz seiner Kindheit ist mit einer gewaltsamen Geschichte behaftet. Als der Arzt Anberber nach vielen Jahren 1990 wieder in sein Heimatland Äthiopien zurückkehrt, erinnert er sich wehmütig an die kindlichen Spiele auf dem Mussolini-Berg. Auch wenn die Bilder aus der Vergangenheit kurzfristig unbeschwerte Gefühle hervorrufen, verdankt der Berg seinen Namen einem nationalen Trauma: dem italienisch-äthiopischen Krieg. Mit massivem Einsatz von Giftgas, auch gegen die Zivilbevölkerung, stießen die Italiener Mitte der 1930er-Jahre bis zur Hauptstadt Addis Abeba vor; ein Mahnmal auf der Spitze des Berges erinnert an die Opfer. Doch Anberbers Erinnerungen an eine unschuldige Kindheit werden schnell schon von der brutalen Realität verdrängt: Militär strömt in das Dorf und zwingt Heranwachsende, eigentlich noch Kinder, in den andauernden Bürgerkrieg. Anberber muss den Verschleppungen machtlos zusehen; aber auch die Vergangenheit macht es ihm unmöglich, in seinem alten Heimatdorf ein neues Leben zu beginnen. Sein Körper ist versehrt; nachts wird er von Albträumen geplagt. Erst nach und nach fügen sich die Fragmente zu Anberbers Biografie zusammen, die mit der politischen Geschichte Äthiopiens aufs Engste verknüpft ist. In einem aufgewühlten, mitunter auch etwas ungelenk zwischen den verschiedenen Zeiten hin- und herspringenden Mosaikstil erzählt der äthiopische Filmemacher Haile Gerima, wie Anberber in den 1970er-Jahren Äthiopien verlässt, um in Deutschland Medizin zu studieren. Aus der Ferne verfolgt er, der ebenso wie sein Freund Tesfaye Mitglied in einer marxistischen Gruppierung ist, den Sturz des Kaisers Haile Selassie. Beide kehren in ihr Heimatland zurück; voller Idealismus wollen sie ihre Dienste der Revolution zur Verfügung stellen. Doch das marxistische, von den Sowjets unterstützte Militärregime unter Mengistu Haie Mariam erweist sich schnell als repressiv: Leute werden verhaftet, die freie Meinungsäußerung wird eingeschränkt. Anberber versucht, sich aus der Politik herauszuhalten, gerät aber mit dem Regime in Konflikt, als er sich in einer emotional erhitzten Situation abfällig über die Revolution äußert. Vor einem „Selbstkritik-Gremium“ muss er seine angeblich „anti-revolutionäre Haltung“ widerrufen. Später wird er als Mediziner in die DDR geschickt, und erst als der Ostblock zusammenbricht, verliert auch die äthiopische Diktatur ihre Grundlage. „Morgentau“ ist Geschichtsaufarbeitung, Geschichtsabarbeitung – ein Film, der von der ersten bis zur letzten Szene das ganze Gewicht der äthiopischen Historie mit sich herumschleppt. In diesem erdrückenden Setting wirken die Figuren schematisch, modellhaft: Sie stehen für eine politische Haltung, einen moralischen Konflikt, aber über ihre Funktionen hinaus entwickeln sie kein Eigenleben, keinen Raum, um sich zu bewegen. Besonders der in Deutschland spielende Teil wird in eine didaktische Logik gezwängt, die jeder Szene den letzten Rest von Spontaneität austreibt. Die Schauspieler sagen ihre Texte auf, agieren unbeholfen und steif. Erst gegen Ende stellt sich heraus, dass Anberber sein Bein nicht wie vermutet durch das äthiopische Militärregime verloren hat, sondern Opfer eines rassistischen Übergriffs in Deutschland wurde. Zuvor war zwar einige Male explizit von Rassismus die Rede, doch die Enthüllung kommt dann wie aus dem Nichts; es fehlt schlichtweg die Etablierung eines Milieus, aus der sich das Geschehen motivieren ließe. Zu viel Bemühung, zu viel Anstrengung steckt in dem mit politischen Themen heillos überfrachteten Film. Dass „Morgentau“ bei diesem Überbau dennoch eine gewisse Vitalität ausstrahlt, verdankt sich allein seinem vorwärts drängenden, aufgewühlten Erzählstil. Hier ist ein Regisseur am Werk, der auf leidenschaftliche Weise ein aufklärerisches Anliegen vertritt – für mehr als engagiertes politisches Kino reicht das allerdings nicht.
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