Tage des Zorns

Drama | Dänemark/Deutschland/Tschechien 2008 | 136 Minuten

Regie: Ole Christian Madsen

Zwei Mitglieder einer dänischen Widerstandsgruppe töten Landsleute, die als Kollaborateure den deutschen Besatzern zuarbeiten, dürfen aber auf Grund eines Stillhalteabkommens nicht gegen die Nazis tätig werden. Als sie erkennen, dass ihre Taten durch ihren Befehlshaber instrumentalisiert werden, verweigern sie den Gehorsam und liquidieren auch deutsche Täter. Düstere Studie über Schuld und Sühne, Fremd- und Selbstbestimmung, die differenziert von der vergeblichen Suche nach Gerechtigkeit angesichts entmenschlichter Ausnahmezustände erzählt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FLAMMEN OG CITRONEN
Produktionsland
Dänemark/Deutschland/Tschechien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Nimbus-Zentropa Prod./Wüste Filmprod./Sirena Film
Regie
Ole Christian Madsen
Buch
Lars Andersen · Ole Christian Madsen
Kamera
Jørgen Johansson
Musik
Karsten Fundal
Schnitt
Søren B. Ebbe
Darsteller
Mads Mikkelsen (Citronen) · Thure Lindhardt (Flammen) · Christian Berkel (Hoffmann, Chef der Gestapo) · Peter Mygind (Anführer Aksel Winther) · Stine Stengade (Ketty)
Länge
136 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
„Erinnerst du Dich an ihre Ankunft, erinnerst du Dich an den 9. April, wo warst Du damals, was dachtest Du?“ Ein fragender Monolog schwimmt über den schwarz-weißen Archivaufnahmen vom Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Kopenhagen. Ole Christian Madsen lässt die Erinnerung seiner Hauptfigur an die dänische Widerstandsbewegung im Voice-Over beginnen und huldigt damit zugleich einem anderen großen filmischen Werk über die private wie kollektive Verarbeitung von schmerzlichen Erinnerungen, Schuld und Verantwortung. Alain Resnais verpackte vor 50 Jahren in „Hiroshima, mon amour“ (fd 9 095) die wiederkehrenden Erinnerungsfragmente an eine unmögliche deutsch-französische Liebe im Zweiten Weltkrieg in die Erzählung einer ebenso unmöglichen französisch-japanischen Liebe der Gegenwart. Eine amouröse Rahmenhandlung, nur in brieflich-verbaler Form, umklammert auch die letzten, blutig erlebten Besatzungsmonate der Widerstandskämpfer Bent und Jorgen, alias Flame und Citron. Im Auftrag einer antifaschistischen Partisanengruppe unter Führung von Aksel Winther, der seine Todeslisten direkt aus Stockholm und London erhält, exekutiert der 23-jährige Flame mit seinem Freund, dem verhinderten Familienvater Citron, dänische Kollaborateure. Was die beiden Untergrundkämpfer antreibt, sind die Vaterlandsliebe und der ohnmächtige Hass angesichts der Fremdbestimmung und des Verrats durch dänische Mitbürger, die als Journalisten, Militärs oder Spitzel den Nationalsozialisten in die Hände arbeiten. Doch die Ausschaltung der eigentlichen Massenmörder, hochrangige deutsche NS-Offiziere wie der Gestapo-Chef Hoffmann, bleibt den beiden durch ein halbseidenes Toleranzabkommen zwischen Besatzern und Besetzten verwehrt. Erst als Winther seine eigenen schmutzigen Geschäfte durch fingierte Mordaufträge zu bereinigen beginnt, gerät Flames und Citrons Selbstversicherung, dass sie Nazis, aber keine Menschen und erst recht keine Unschuldigen ermorden, ins Wanken. Immer tiefer verfangen sie sich in den korrupten Ränkespielen der in- und ausländischen Machthaber, bis sie sich die Scheuklappen herunterreißen und ihren Rachefeldzug auf eigene Faust fortführen – selbst oder gerade als sich die Grenzlinien zwischen Verbündeten, Verrätern und Doppelagenten nicht mehr ziehen lassen. „Tage des Zorns“ erinnert inhaltlich an Paul Verhoevens „Black Book“ (fd 38 152) und steht doch mit seiner differenzierten Abhandlung über Schuld und Sühne, der Rechtmäßigkeit und Konsequenz des eigenen Handelns und der Last einer patriotischen Verantwortung thematisch eher in der Tradition von Steven Spielbergs „München“ (fd 37 431). Kollateralschäden und Fehlentscheidungen lassen Flames und Citrons Mienen vor Mitgefühl, Skrupel oder Angst erstarren; und wenn die Kamera die nahenden Mörder aus dem Untergrund auf den fahlen, blau-grauen Straßenschluchten Kopenhagens nicht gerade in der Vogelperspektive einfängt, dann nähert sie sich ihren, von Schweiß und Schatten überströmten Gesichtern bis ins Detail. Thure Lindhardt und Mads Mikkelsen ummanteln ihre Figuren mit einer nachfühlbaren, wahnsinnigen bis verzweifelten Attitüde der Ausweglosigkeit, während sie als mörderische Spielbälle zwischen den Fronten ungebremst in eine Gewaltspirale rutschen. Wie in „München“ äußert sich auch hier der erdrückende Realismus eines scheinbar unvermeidlichen Rache-Terrors, der seine Vollstrecker wieder einholt, in einer erschreckend authentischen Gewalt-„Ästhetik“. Auch hierin den Gangster-Filmen eines Martin Scorsese nicht unähnlich, füllen Madsen und sein Drehbuch-Co-Autor Lars Andersen die Phasen zwischen den Anschlägen mit einer solchen Fülle an Handlungs- und Ausstattungsdetails, dass sich trotz der konzentrierten, kompakten Inszenierung das Gefühl epischer Länge breit macht. Als mitreißende Gegenwelle in einem Meer von Täterfilmen stolpern „Flammen & Citronen“, so der Originaltitel, als Opfer und Racheengel nicht nur fatalistisch in die Täterschaft, sondern hinterfragen diese auch. Kurz vor Kriegsende soll Flame als Gegenleistung für das sofortige Einstellen seiner privaten Liquidierungen der Titel eines Hauptmanns verliehen werden. Die Dänen bräuchten nach dem Krieg Helden, die sie unter richtigem Namen verehren und mit denen sie ihr Gewissen beruhigen könnten. Doch das lehnt Flame ebenso ab wie sich der Film einer Glorifizierung oder Verurteilung seiner zwiespältigen, mit ihrem eigenen Status hadernden Figuren verweigert. Das macht „Tage des Zorns“ zu einem ausgewogenen und zugleich kraftvoll-pessimistischen Epilog über die vergebliche Suche nach der ultimativen Gerechtigkeit, Wahrheit und Vergeltung in vergifteten Ausnahmezuständen. Hier demaskiert sich ein amoralischer Überlebenstrieb, der die Liebe zu sich selbst und zum Gegenüber ebenso erstickt, wie er der späteren Verdrängung Vorschub leistet: Kopenhagen, mon amour.
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