Ein 19-Jähriger nutzt den Einschlag eines vereisten Fäkalienklumpens, der von einem Flugzeug aus sein Elternhaus trifft und es unbewohnbar macht, um sich von seinen Eltern, radikalen Anhängern von Umweltschutz und Biokost, vor allem aber dem "Biowahn" seiner ökologisch überkorrekten Mutter abzunabeln. Eine von einigen reizvollen Ideen weitgehend getragene Satire auf Wellnesszwang und sich verselbstständigendes Ökobewusstsein, die inszenatorisch und dialogisch freilich weit hinter ihren thematischen Möglichkeiten zurückbleibt.
- Ab 14.
Die Eisbombe
- | Deutschland 2008 | 95 Minuten
Regie: Oliver Jahn
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Credofilm/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)/dffb
- Regie
- Oliver Jahn
- Buch
- Oliver Jahn · Stéphane Bittoun
- Kamera
- Julian Atanassov
- Musik
- Eike Hosenfeld · Moritz Denis
- Schnitt
- Barbara Gies
- Darsteller
- Eike Weinreich (Thomas-Albert "Tom" Schuhmann-Weil) · Katharina Schüttler (Lucie) · Karoline Eichhorn (Beate Schuhmann-Weil) · Peer Martiny (Jörg Schuhmann-Weil) · Heike Jonca (Elfie)
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Eine Familie im Biowahn – im Psychojargon hieße sie wohl dysfunktional: Die Schuhmann-Weils sind radikale Anhänger von Umweltschutz, Biokost und viel Bewegung. Nicht nur, dass das dem Öko-Lifestyle verfallene Lehrerpaar penibel den Müll trennt, sich angstbesetzt an esoterischen Bedenklichkeitstests festhält und sich dem Kontakt mit Umweltgiften bestenfalls mit einer Atemmaske stellt. Vor allem die Mutter, ungewohnt verbissen gespielt von Karoline Eichhorn, gefällt sich in ihrer konsequenten Haltung und merkt vor lauter Vermeidungstaktik gar nicht, dass ihre beiden Söhne längst jegliche Lebensfreude verloren haben. Vor allem der 19-jährige Tom plagt sich seit frühester Kindheit mit Allergien und Neurosen aller Art, darunter eine veritable Regenphobie, die er Tschernobyl und dem sauren Regen verdankt. Als er seinen Zivildienst in einem Krankenhaus beginnt und dort ein kostenloses Zimmer angeboten bekommt, begegnet er zu Hause sorgenvollen Gesichtern. Die Eltern halten nichts von seinem Auszug, denn wer soll ihn im Feindesland schließlich vor den Gefahren der rundum verseuchten Umwelt schützen? Langsam dämmert es Tom, dass die übertriebene Fürsorge der Mutter vor allem dem Ziel dient, den Nachwuchs zu isolieren und mit perfidem Psychoterror von sich abhängig zu machen.
Unter dem Einfluss seiner bodenständigen Kollegen und einer lebenslustigen Nachwuchsschauspielerin startet Tom, von seinen diversen Krankheiten auf wundersame Weise befreit, erste Abnabelungsversuche. Als dann ein mysteriöser Eisklotz in das Einfamilienhaus einschlägt, schmilzt und das Innere unbewohnbar macht, ergreifen die Schuhmann-Weils panisch die Flucht in ihren seit Tschernobyl mit uralten Konservendosen vollgestopften Luftschutzbunker, während der Filius die Gelegenheit zum Abseilen nutzt. Die wahren Gefahrenzonen des Lebens sind ihm lieber – erste Liebe, erste Trinkgelage und die Konfrontation mit dem Tod in der Pathologie des Krankenhauses – als an der exhibitionistischen Medienoffensive teilzunehmen, die seine Eltern in Sorge um ihre Entschädigung starten. Die Versicherung will nämlich nicht zahlen, als sich der Eisklotz als der gefrorene Inhalt einer Flugzeugtoilette entpuppt. Die rationale Erklärung für das Unheil aus dem All stachelt die Militanz der Mutter noch mehr an und lässt sie zu einer Öko-Märtyrerin mutieren, während die Restfamilie peinlich berührt geschlossen auf Distanz geht.
„Die Eisbombe“ ist der erste Kinofilm des 1969 geborenen Oliver Jahn und zugleich seine Abschlussarbeit an der dffb. Das sieht man dem Film an: Vieles wirkt wie einstudiert, wie eine Skizze anstelle eines Bildes. Brauchbar zwar und mit viel Potenzial, aber noch unfertig und mit Neigung zu einfachen Lösungen. Katharina Schüttler, die sonst die Leinwand zu elektrisieren vermag, kommt nicht zum Zug, und auch die anderen Akteure agieren auf Sparflamme, wirken blockiert und das in einer bissigen, schwarzen Satire, wie das Presseheft euphorisch verkündet. Trotz des originellen Ansatzes, die Konjunktur von Wellnesszwang und verselbständigtem Ökobewusstsein für eine Familienkomödie zu nutzen, gelingt es dem Regisseur und Drehbuchautor nicht, inszenatorisch und vor allem dialogisch auf der Höhe seines viel versprechenden Themas zu bleiben. Der Wechsel zwischen realistischer Machart und durchschnittlicher Fernsehästhetik schafft Dissonanzen, die das Drehbuch leider nicht aufzulösen vermag. Weniger temperiert könnte sie schon ausfallen, diese gesellschaftskritisch garnierte Coming-of-Age-Geschichte. Dass man dennoch dranbleibt, liegt an dem längst fälligen Thema Gesundheitshysterie. Als die Mutter zum Schluss, die Nachbarin zur „viel gesünderen“ Gefrierkost missionierend, vor der Haustür in Nöte gerät, wird die grüne Burleske für Momente endlich das, was sie eigentlich sein wollte: bissig und schwarz.
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