Dokumentarfilm über den in den 1970er- und 1980er- Jahren überragenden DDR-Radrennfahrer Wolfgang Lötzsch, dessen Karriere die Stasi systematisch zerstörte, weil er sich als nicht systemkonform erwies. Obwohl der Film langsam und geduldig, lediglich aufgrund von Zeitzeugen und Dokumenten wie den Stasi-Berichten die Tragödie des Ausnahmesportlers schildert, bietet er aufwühlende und präzise Einblicke in ein rein auf Unterdrückung und Duckmäusertum setzendes System.
- Ab 14.
Sportsfreund Lötzsch
Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 86 Minuten
Regie: Sascha Hilpert
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- Telepool/BR
- Regie
- Sascha Hilpert · Sandra Prechtel
- Buch
- Sascha Hilpert · Sandra Prechtel
- Kamera
- Marcus Winterbauer · Susanne Schüle
- Musik
- Jan Tilman Schade
- Schnitt
- Katja Dringenberg
- Länge
- 86 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0 (DVD)
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Dass in Diktaturen einzig und allein die Konformität der Bürger zählt und dass dies auch für Ausnahmetalente jeglicher Art gilt, zeigt auf beklemmende Weise dieser Dokumentarfilm über das System DDR. Beispielhaft zeichnet er die Karriere des Wolfgang Lötzsch nach, der schon als Jugendlicher allen Radfahrern der Republik davongefahren war und schon bald als Bester seines Metiers galt. Allerdings nahm er, obwohl eigentlich unpolitisch, nie ein Blatt vor den Mund, was der Stasi genügte, um ihm schon früh ihre Wachhunde auf den Hals zu hetzen. Und so schrieben sie artig in ihre Berichte, die im Film aus dem Off zu vernehmen sind, dass er beim Radwaschen Westradio höre und sich auch sonst nicht wie ein braver DDR-Bürger benehme. Das ging so weit, dass sich bald an die 30 Stasi-Mitarbeiter um ihn kümmerten, einschließlich diverser „inoffizieller Mitarbeiter“ (IM), unter denen sich sowohl ein vorgeblicher West-Kontaktmann als auch beste Freunde des Radfahrers befanden. Gerade Letzteres tue ihm noch heute weh, sagt Lötzsch, heute ein glatzköpfiger, ruhiger, ernster und noch immer sportlicher Mann in den 50ern; das könne er nicht verzeihen. Ein wenig gelassener nimmt er seinen Status als Staatsfeind, den er nie angestrebt hat. Sein Gefängnisaufenthalt aber – zehn Monate lang, die meiste Zeit ohne Fenster, ohne menschliche Kontakte, ohne Bewegung – hat ihn, wenn auch 30 Jahre her, offenbar schwer mitgenommen. Gebrochen hat ihn die Haft aber nicht, denn danach fuhr er, nach dem Motto „jetzt erst recht“, weiterhin den parteitreuen Olympiateilnehmern der DDR davon. Seine Anhänger teilten seine trotzig-oppositionelle Haltung, was ihn umso mehr als Gefahr für das System erscheinen ließ. Die deutsche Meisterschaft, die „L.“ zweifellos zu gewinnen drohe, gelte es unbedingt zu verhindern, heißt es in einem der Stasi-Berichte.
Auf traditionelle Weise, ohne jegliche Spielszene oder sonstige zeitgenössische Genre-Vermischung, erzählt der Film von Sandra Prechtel und Sascha Hilpert Lötzschs Geschichte nach, vor allem an Hand der Aussagen von dessen Wegbegleitern, seinem Trainer etwa oder zweier Lebensgefährtinnen. Aber auch die andere Seite kommt zu Wort, ein Major der Staatssicherheit, der auf unglaublich zynische Weise mit Rechtfertigungen und Wirklichkeitsverzerrungen daher kommt, ganz so, wie man es auch von SS-Schergen immer wieder gehört hat: Lötzsch sei eben zu störrisch gewesen, man habe ihn nur vor sich selbst schützen, am Ende sogar wieder integrieren wollen. Spätestens als der Mann von Eifersüchteleien zwischen MfS-Minister Mielke und dem Chef des DDR-Sportbundes erzählt, die Lötzschs Rückkehr endgültig behindert hätten, kommt die bizarre menschliche Seite des unmenschlichen Systems zum Vorschein. Hier, wie auch bei anderen inhaltlichen Berührungspunkten, wirkt der Film wie das dokumentarische Pendant zur realitätsnahen Fiktion in „Das Leben der Anderen“ (fd 37 524).
Als die längst marode DDR endlich verschwand, war Lötzsch, der zahllose Ausreiseanträge gestellt hatte, zu alt für eine Fortführung seiner Karriere. Dass er sich und den Sport aber nie aufgegeben hat, ist letztlich sein persönlicher Sieg. Deshalb sind die Szenen, in denen er auf Partys und bei der Arbeit zu sehen ist, wichtig, um die außerordentliche Zähigkeit seines Charakters zu unterstreichen. Heute arbeitet er als Mechaniker für das Team Milram. Wenn er den jungen Fahrern beim Besteigen des Siegertreppchens zuschaut, bleibt die Kamera lange auf seinem Gesicht. Hier, wie an vielen anderen Stellen, lässt sich der Film Zeit, um diesem besonderen Charakter nachzuspüren. Der Blick zurück im Zorn bleibt, aber die Kraft zum Blick nach vorn eben auch.
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