Der absolute Film

- | Deutschland/Frankreich 1925 | 78 Minuten

Regie: Fernand Léger

Eine Sammlung von Avantgarde-Filmen, die die "Novembergruppe" um Max Pechstein, Hanns Eisler und Lyonel Feininger am 3. Mai 5. 1925 im Berliner UFA-Palast in der Matinee "Der absolute Film" vorstellte. Die von sieben Künstlern stammenden Arbeiten verfolgen unterschiedliche formale Ansätze, wobei sie alle auf narrative Strukturen verzichten. Auch gab es bei der Matinee konsequent keine Musik, die erst später hinzugefügt und nun für die Fernsehausstrahlung komplettiert wurde. Eine höchst spannende Aufarbeitung von Filmgeschichte. (Die Titel der einzelnen Filme: 1. "Ballet Mécanique", viragiert, F 1923/24, 16 Min.; 2. "Symphonische Diagonale", schwarz-weiß, D 1924, 8 Min.; 3. "Film ist Rhythmus", schwarz-weiß. D 1921-23, 9 Min.; 4. "Entr'acte", schwarz-weiß, F 1924, 19 Min.; 5. "Ruttmann Opus 2,3,4", viragiert, D 1921/24/25, 9 Min.; 6. "Reflektorische Farbenlichtspiele: Sonate und Kreuzspiel", D 1922/23, 16 Min.) - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
1925
Regie
Fernand Léger · Dudley Murphy · Viking Eggeling · Hans Richter · René Clair
Buch
Viking Eggeling · Hans Richter · René Clair · Walter Ruttmann · Ludwig Hirschfeld-Mack
Kamera
Dudley Murphy · Man Ray
Musik
George Antheil · Olga Neuwirth · Bernd Thewes · Erik Satie · Ludger Brümmer
Länge
78 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.

Diskussion
Wagner hat einmal despektierlich von jener Musik gesprochen, die aus sich selbst heraus entstanden und ohne Bezüge zu Vorlagen, Referenzen oder Libretti komponiert worden sei. Von Bruckner, Brahms bis Bach seien solch „eigenständige“ Werke erdacht worden, die sich rein der Musik und keinerlei Handlung verschrieben hätten. Den Begriff der „Absoluten Musik“, den Wagner gegen sein „überlegenes“ Musikdrama und den man allgemein gegen die assistierende Programmmusik – mithin die Filmmusik – setzte, wird seither kontrovers diskutiert. Abgesehen von Wagners unsinniger qualitativer Wertung, stellt sich die Frage, ob es einen künstlerischen Schaffensprozess wie das Komponieren von Musik frei von Einflüssen jenseits der Harmonielehre geben kann. Als sich das Medium Film noch im Zeitalter der Selbstfindung befand, versuchte die Avantgarde, neben der postulierten „Absoluten Musik“ eine Entsprechung für die vereinnahmte Kunstform der bewegten Bilder zu finden. Die politisch/künstlerisch agierende „Novembergruppe“ um Max Pechstein, Hanns Eisler und Lyonel Feininger (benannt nach der die Monarchie stürzenden November-Revolution 1918/19) suchte als erste nach dem „Absoluten Film“. Am 3. Mai 1925 veranstalteten sie im Berliner UFA-Palast eine Matinee unter besagtem Titel, bei der zehn Kurzfilme von drei bis 19 Minuten Länge vorgestellt wurden. Sieben Künstler aus Frankreich und Deutschland zeigten erstmalig in dieser Form ihre aktuellen Arbeiten aus den Jahren 1921 bis 1925: eine Kompilation unterschiedlichster formaler Ansätze – mal animierte Bildende Kunst, mal collagiertes Bildmaterial –, die eines gemein hatten: die Abwesenheit narrativer Strukturen. So animierte der nach Deutschland immigrierte Schwede Viking Eggeling gut 6.700 seiner Bilder von zweidimensionalen weißen, scherenschnittartigen Reliefen auf schwarzem Hintergrund zu einer sanft fließenden Zeichnung („Symphonische Diagonale“). Sein Freund, der Berliner Konstruktivist Hans Richter, steuerte mit „Rhythmus 21“ und „Rhythmus 23“ unter dem Titel „Film ist Rhythmus“ wie zufällig wachsende und schrumpfende, sich schneidende und verdrängende geometrische Figuren bei. Der Frankfurter Maler und Architekt Walter Ruttmann, der 1927 mit „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ berühmt werden sollte, tat es in „Opus 2“, „Opus 3“ und „Opus 4“ Richter gleich, animierte jedoch weit perfektionierter in Grauschattierungen und flüssigeren Bewegungsabläufen, die er zudem farblich ausgeklügelt viragierte. Wie ein aufwändig zum Leben erwecktes Kandinsky-Gemälde wirken die roten, blauen und gelben Lichtprojektionen, die auf der Leinwand wandelnde Kreise, Quadrate und Dreiecke bilden. Ludwig Hirschfeld-Macks „Reflektorische Farbenlichtspiele: Sonate und Kreuzspiel“ (1922/23) ist der spannendste und zeitloseste Beitrag der Animationssektion. Gegenständlicher, in der Ausarbeitung der wie zufällig wirkenden Collagen aus Fotos, Filmfragmenten und Animationen ähnlich „absolut“ sind René Clairs „Entr’acte“ und „Ballet Mécanique“ von Fernand Léger und Dudley Murphy. In den längsten Arbeiten der Kompilation eröffnet sich eine absurde Spielwiese der technischen Möglichkeiten: Zeitlupen, Überblendungen, rückwärts abgespielte, in extenso gedoppelte und eingefrorene Bilder bar jeglichen Sinnzusammenhangs zelebrieren Dada in Reinkultur. Die Vorstellung im Mai 1925 fand größtenteils stumm statt; nur die wenigsten, etwa Hans Richters Beiträge, hatten ein musikalisches Konzept. Die reine, ungetrübte Bewegung war die „Message“, und vielleicht war die Matinee deshalb einer Auffassung des „Absoluten Films“ näher als jede andere Aufführung. Spätestens wenn Musik zum Bild stößt, erhält das Werk eine Handlung, ein Konzept und ein Programm. Der Kultursender arte hat alle Filme der legendären Matinee nun mit Musik versehen. So erhält „Opus 3“ seine atonale Musik von Hanns Eisler (fertig gestellt zwei Jahre nach der Matinee), „Ballet Mécanique“ seine unerhörte, mitreißende Kakophonie für 16 Pianolas, acht Klaviere, Xylophon, Schlagwerk, Klingeln, Propeller und Sirene, die George Antheil 1926 fertig stellte. „Entr’acte“ ist durch die mal elegische, mal provozierende originale Orchestermusik von Eric Satie komplettiert, „Reflektorische Farbenlichtspiele“ gefällt sich mit Hirschfeld-Macks eigenen Kirchenorgelklängen in einer wahrhaft sakralen Apotheose. Die vermeintlich stummen Filme erhalten entsprechend modernistische, mitunter clusterhafte, für die Fernsehpremiere vom Ensemble ascolta neu eingespielte Minimalmusiken von Olga Neuwirth („Symphonie Diagonale“), Bernd Thewes („Film ist Rhythmus“), Ludger Brümmer („Opus 2“) und Sven Ingo Koch („Opus 4“). Wieder einmal gelingt ZDF/arte ein wertvoller Beitrag zur Bewahrung von Filmgeschichte. Mag die Variation der Filme auch symptomatisch dafür sein, wie abseitig die Vorstellung der „Absolutheit“ eines künstlerischen Produkts ist, das Ergebnis ist absolut sehenswert.
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