Ich will da sein - Jenny Gröllmann

Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 95 Minuten

Regie: Petra Weisenburger

Biografischer Dokumentarfilm über die Ost-Berliner Schauspielerin Jenny Gröllmann (1947-2006), der ihr Leben anhand von Ausschnitten aus zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen, Interviews mit Freunden und Kollegen sowie Selbstaussagen reflektiert. Die melancholische, intime Hommage konzentriert sich auf das künstlerische Schaffen der an Krebs verstorbenen Darstellerin und widerlegt mit größtmöglicher Sachlichkeit, aber auch emotionaler Beteiligung die Angriffe, denen Jenny Gröllmann wegen ihrer vermeintlichen Stasi-Tätigkeit ausgesetzt war. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Weisenburger Film/DEFA-Stiftung
Regie
Petra Weisenburger
Buch
Petra Weisenburger
Kamera
Thomas Mauch · Martin Gressmann · Wojtek Szepel · Max Zaher · Petra Weisenburger
Schnitt
Klaus-Peter Schmitt
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Die Schauspielerin Jenny Gröllmann, die im August 2006 an Krebs verstarb, war am Ende ihres Lebens in die politischen Schlagzeilen geraten. Ulrich Mühe, einige Jahre lang ihr Partner, hatte anlässlich der Premiere des Films „Das Leben der Anderen“ (fd 37 524) die Öffentlichkeit wissen lassen, dass sie der Staatssicherheit als Informelle Mitarbeiterin zu Diensten gewesen sei. Gröllmann wehrte sich gegen diesen Vorwurf: Nie habe sie wissentlich für die Stasi gearbeitet; vielmehr hätten Mitarbeiter des Geheimdiensts ihre Briefe, Telefonate und Gespräche abgeschöpft und daraus eine Zuträgerakte konstruiert. Anderthalb Jahre nach ihrem Tod, im April 2008, gab ihr das Berliner Kammergericht Recht: Zu viel spräche für ihre Unschuld, als dass sie weiterhin „IM“ genannt werden dürfe. Auf Mühes Behauptung und das daraus resultierende mediale Kesseltreiben geht auch Petra Weisenburgers Porträtfilm ein. Die im Westen sozialisierte Regisseurin, die mit der Schauspielerin befreundet war, ergreift vehement Partei für die Beschuldigte und holt Zeitzeugen vor die Kamera, die ihr dabei mit oft hoch emotionalen Äußerungen zur Seite stehen, u.a. Michael Gwisdek, Uwe Kockisch und Henry Hübchen. Aber der Stasi-Fall wird nicht ins Zentrum gerückt, sondern erst am Ende gestreift; Sensationshascherei und Spekulation sind der Regisseurin fremd. Als sie im Sommer 2004 mit den Dreharbeiten begann, schwebte ihr vor, die künstlerische Arbeit von Jenny Gröllmann zu würdigen, noch einmal an ihre Filme zu erinnern und an die damit verbundenen Ideale, Glücksumstände, Enttäuschungen, auch Niederlagen: „Ich war überrascht vom Facettenreichtum ihrer Rollen und ihrer Verwandlungskraft als Schauspielerin“, sagt Petra Weisenburger. „Ihre Frauenfiguren waren nie eindimensional, sie waren widersprüchlich, geheimnisvoll, stark. So komplex und überzeugend, wie Jenny mir auch als Freundin begegnete.“ Aus dieser Haltung heraus entstand eine melancholische, intime Hommage an eine Künstlerin, die das westdeutsche Publikum vermutlich nur als Anwältin Isenthal in „Liebling Kreuzberg“ (1994) zur Kenntnis genommen hat, und deren wenige, aber fast durchweg starke frühere Filme auch im Osten im Orkus des Vergessens zu verschwinden drohen. Petra Weisenburger zitiert u.a. aus Konrad Wolfs „Ich war neunzehn“ (fd 33 226), Ulrich Theins „Broddi“ (1975) und Ulrich Weiß’ „Dein unbekannter Bruder“ (1981). Bei den Dreharbeiten zu Herrmann Zschoches Hölderlin-Biopic „Hälfte des Lebens“ (fd 26 385) hatten sich Jenny Gröllmann und Ulrich Mühe kennen und lieben gelernt; eine wesentliche Rolle spielte sie neben Henry Hübchen auch im Fernsehfilm „Es geht einer vor die Hunde“ (1983). Viele Ausschnitte werden als atmosphärische Belege für biografische Stationen der Schauspielerin genutzt; so die berühmte Küchen-Szene bei Konrad Wolf, die parallel zu Bildern von der Vorbereitung der Hochzeit Jenny Gröllmanns mit ihrem letzten Mann montiert wird. Das dramaturgische Prinzip, Kongruenzen in Leben und Werk zu finden, mutet mitunter etwas konstruiert an, ermöglicht aber immer wieder, in die zitierten Arbeiten einzutauchen und deren künstlerische Qualität zu genießen. Neben den Zitaten verwendet die Regisseurin zahlreiches, oft familiär anmutendes Material aus den letzten drei Lebensjahren Jenny Gröllmanns: von einer Paris-Fahrt gemeinsam mit ihrer Tochter Anna Maria bis zu jenem Moment wenige Tage vor ihrem Tod, als sie, schon bis zum Skelett abgemagert und ans Bett gefesselt, ihre Arme mit letzter Kraft zu einem Schostakowitsch-Walzer kreisen lässt. In solchen Sequenzen wirkt der Film ungeheuer zärtlich, wird, abseits jeden voyeuristischen Anflugs, zur eindringlichen Reflexion über Vergänglichkeit, Krankheit und Abschied. Zuvor ist viel von Schönheit die Rede und davon, dass Jenny Gröllmann „die Anregung für Fantasie, die Inkarnation der Sünde, der Freiheit, des Lebens“ (Michael Gwisdek) gewesen sei. Mehrfach fallen Vergleiche mit internationalen Stars: Kollegen und Freunde fühlen sich an Romy Schneider und Claudia Cardinale erinnert, und der Fotograf Michael Weidt resümiert: „Sie konnte da mithalten. Sie war zufällig in der DDR. Sie hätte Weltkarriere machen können.“ Vielleicht ist das etwas zu hoch gegriffen, und doch gibt der Film zu bedenken, wie sehr die Schauspielerin darunter litt, dass die ihr gemäßen Rollen weniger wurden und schließlich ausblieben: „Ich habe auch nicht viel Glück gehabt. Man hätte doch gern Größeres gemacht.“ Das gesamtdeutsche Kino ließ Jenny Gröllmann nach 1989 jedenfalls unbeachtet. Bei einer ihrer letzten Aufgaben, dem Dreh zu einer TV-Soap, wollte sie das Team um Petra Weisenburger keinesfalls dabei haben: „Das bin nicht mehr ich.“ „Ich will da sein – Jenny Gröllmann“ beginnt mit der Trauerfeier für die Verstorbene auf dem Berliner Dorotheenstädtischen Friedhof und führt dann vom Tod ins Leben zurück. Metaphorisch ist eine Szene fast am Schluss, in der das überdimensionale Plakat zu „Das Leben der Anderen“ von einem Kino abgenommen wird. Bleiben soll etwas Anderes: nicht die fremde Erinnerung, sondern die eigene Biografie.
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