La Paloma. Sehnsucht. Weltweit

Dokumentarfilm | Deutschland/Frankreich 2007 | 92 Minuten

Regie: Sigrid Faltin

Entstehungs-, Verbreitungs- und Wirkungsgeschichte des Schlagers "La Paloma", von dem weltweit mehr als 2000 Versionen existieren und der in nahezu allen Ländern verbreitet ist. Ein abwechslungsreicher Dokumentarfilm als Ergebnis einer aufwändigen Recherche, der in seiner einfachen Struktur zwar keine sonderlich ausgefeilte Handschrift erkennen lässt, aber dennoch mit ausgefallenen, kuriosen und tragischen Anekdoten facettenreich unterhält. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Seppia/White Pepper/NDR/WDR/ZDF/ARTE
Regie
Sigrid Faltin
Buch
Sigrid Faltin
Kamera
Holger Schüppel
Schnitt
Mike Schlömer
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Ein Wind weht von Süden und zieht mich hinaus auf See. Mein Kind, sei nicht traurig, tut auch der Abschied weh. Mein Herz geht an Bord und fort muss die Reise gehen. Dein Schmerz wird vergehen und schön wird das Wiedersehen: Diese Zeilen, die Hans Albers mit alkoholseliger Stimme „seiner“ Ilse Werner in Helmut Käutners „Große Freiheit Nr. 7“ (fd 26) zuraunt, sind es, die dem Gassenhauer „La Paloma“ zumindest in unseren Breiten einen nordischen Stempel aufgedrückt haben, trotz des unverkennbar spanischen Titels. Auch wenn Elvis Presley mit seiner Interpretation die Charts eroberte und Freddie Quinn in den 1960er-Jahren wieder südländisches Flair in den Song einbrachte: Den meisten Deutschen – auch den Nachgeborenen – dürfte bei der Nennung des Schlagers zuerst der „blonde Hans“ in den Ohren klingen. Dieser fand mit seiner Version 1944 allerdings gar nicht das Wohlwollen von Reichspropagandaminister Goebbels. Schließlich heißt es in dem Lied: „Einmal wird es vorbei sein“ – eine, im historischen Kontext des Dritten Reichs betrachtet, mutige Aussage. Die Filmemacherin Sigrid Faltin versucht, dem Mythos dieses wohl meist interpretierten Schlagers der Welt (der Klangkünstler Kalle Laar kennt mehr als 2000 Versionen) auf den Grund zu gehen. Sie recherchiert die Entstehungs- und Verbreitungsgeschichte des Liedes, das vor gut 150 Jahren vom Basken Sebastián Iradier auf Kuba komponiert wurde und seinen Siegeszug rund um die Welt antrat. Sie fördert dabei Erstaunliches zu Tage. Egal, welche Ethnie sich des Liedes auch annahm: jede drückte „La Paloma“ einen eigenen Stempel auf. Zwar blieben die Melodie und der Sinngehalt von Fernweh, Heimweh, Sehnsucht und Hoffnung auf Heimkehr in allen Versionen erhalten, doch die jeweilige emotionale Aufladung bzw. Kontextualisierung weist erhebliche Unterschiede auf. So wird das Lied auf Sansibar zu Hochzeiten gespielt, im rumänischen Banat bei Beerdigungen, dient als Tanzmusik auf Butterfahrten und hat auf Hawaii eine besondere Klangfärbung erhalten. Doch Sigrid Faltin liefert nicht nur eine musikhistorische Stoffsammlung, sondern zugleich tragische und kuriose Anekdoten: Coco Schumann, der Berliner Jazzer und als Mitglied der „Ghettoswingers“ Überlebender von Theresienstadt und Auschwitz, erinnert sich z.B., dass zu den Klängen von „La Paloma“ Kinder in die Gaskammern marschierten. Dank solcher Geschichten ist „La Paloma“ ein abwechslungsreicher Film, der von der Recherchefreudigkeit seiner Regisseurin zeugt und eine Reihe von Schauplätzen geschickt miteinander verbindet, der aber auf Grund seiner einfachen Struktur nicht unbedingt Beleg für eine eigene dokumentarische Handschrift ist. Es geht um die Faszination eines (globalisierten) Phänomens, dessen Spektrum anhand spannnender Beispiele verdeutlicht wird: Um volksnah zu sein, baute Bizet Teile von „La Paloma“ als musikalische Brücke in die Hauptarie seiner Oper „Carmen“ ein; die linke mexikanische Sängerin Eugenia León dagegen nutzte das populäre Lied, um einen vermeintlichen Wahlkampfbetrug in ihrem Land zu geißeln. Sie nähert sich dabei an jene mexikanischen Spottversionen an, die im 19. Jahrhundert den ungeliebten Kaiser Maximilian und seine Frau Carlotta, eine Verehrerin des Stückes, verhöhnten, singt gegen Rassismus und Einmischung und gegen den Krieg im Irak und mahnt dazu, die (Friedens-)Taube, die sich auf die Grenze setzt, genau im Auge zu behalten, es könnte auch der US-imperialistische Geier sein. Faltins facettenreiche dokumentarische Spurensuche entwickelt sich zwar zu keinem großen, aber einem verdienstvollen Film, dessen Schlichtheit ein wenig durch den liebevoll gestalteten Vor- und Nachspann aufgebrochen wird, die beide auf charmant-nostalgische Weise zu einer Weltreise einladen – ganz im Sinne des Liedes.
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