Dokumentarfilm über den kleinsten filmbaren Festkörper: Er beschäftigt sich mit Staub in seinen vielfältigen Ausprägungen und beleuchtet diesen Themenkomplex in all seinen Ausformungen. Dabei kommt die Belästigung durch Staub zur Sprache; auch werden jene Arbeitsplätze thematisiert, die durch seine Beseitigung geschaffen werden; schließlich werden die mit Staub verbundenen Gefahren angesprochen, aber auch die Schönheit, die durch seine Pigmente möglich wird, spielt eine Rolle. Der von hintergründigem Humor durchzogene Film versetzt in Staunen und beschert eine Fülle erhellender Momente.
- Sehenswert ab 14.
Staub
Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz 2007 | 94 Minuten
Regie: Hartmut Bitomsky
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Filmdaten
- Originaltitel
- STAUB
- Produktionsland
- Deutschland/Schweiz
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- ma.ja.de filmproduktion/Dschoint Ventschr/Big Sky Film/WDR
- Regie
- Hartmut Bitomsky
- Buch
- Hartmut Bitomsky
- Kamera
- Kolja Raschke
- Schnitt
- Theo Bromin
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Wann haben Sie zuletzt über Staub nachgedacht? Staub weggewischt, okay, aber über Staub nachdenken, philosophisch, historisch, filmisch? Der Film-Essayist Hartmut Bitomsky, der schon Lehrfilme über politische Ökonomie („Die Teilung aller Tage“), das Kino („Das Kino und der Tod“), Architektur („Imaginäre Architektur – Der Baumeister Hans Scharoun“, fd 31 535) und Waffensysteme („B-52“, fd 35 564) gedreht hat, wählt den Superlativ zum Einstieg in seinen Film, wenn er aus dem Off ankündigt: „Staub ist das kleinste Objekt, von dem ein Film handeln kann.“ Entscheidend ist dabei die Grenze zur Sichtbarkeit, die übrigens auch die Beziehung zum Film stiftet: „Film, das ist Staub, der in der Dunkelheit des Kinos aufleuchtet!“ Anschließend schreitet Bitomsky den Themenkomplex ab – und wer zuvor dem Staub höchstens beim Hausputz Aufmerksamkeit geschenkt hat, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, weil offenkundig Millionen Jobs, Passionen, Forschungsprojekte sich weltweit mit nichts anderem als dem Staub in seinen vielfältigen Ausprägungen beschäftigen. „Staub zu entfernen ist eine Arbeit und ein Geschäft!“, lautet Bitomskys lakonischer Kommentar. Und wenn die Reinigungskräfte nach Dienstschluss oder kurz vor Arbeitsbeginn andere Arbeitsplätze in den Büros vom Staub befreien, dann ähnelt ihre unsichtbare Arbeit dem Objekt. Im Folgenden geht es um die Beseitigung von Staub, um die Erforschung der Gefahren des Staubs (Stichworte: Asbest, Feinstaub) und über die Schönheit, die durch Staub erst möglich wird, wenn Pigmente produziert werden oder farbiger Wüstenstaub von seiner Herkunft erzählt. Man sieht auch, dass in Kunstmuseen ebenso gegen den Staub gekämpft wird wie in mikroelektronischen Industrien – und erfährt, dass Mensch und Staub in Symbiose leben. Die Arbeit am, der Kampf gegen den Staub kommt niemals zu einem Ende.
„Staub“ handelt von einer Sisyphos-Erfahrung, nämlich von der Erfahrung der Unmöglichkeit, Staub restlos zu entfernen. Und Bitomsky zitiert mit diesem Widerständigen durchaus sympathisierend den Schriftsteller Raymond Queneau, der sagte: „Es bleibt immer ein Rest und ein Rest vom Rest!“ Bilder vom aussichtslosen Kampf gegen den Staub findet der Filmemacher überall: Sei es die Hausfrau, die sich selbst als „Putzteufel“ bezeichnet und die die Rückwand ihres Fernsehers abschraubt, um auch im Innern des Gerätes den Kampf mit Pinseln fortzusetzen, seien es die im Sandsturm die Orientierung verlierenden Reiter, die Bitomskys in Viktor Sjöströms „Der Wind“ (1927) entdeckt hat, seien es die technologischen Innovationen der Staubsauger-Produktion, deren Credo noch immer lautet: „Wir müssen wegkommen vom Hausstaub!“ Man kann den Kampf gegen den Staub aber auch aufgeben und anfangen, ihn zu sammeln, zu katalogisieren und ihn als Blindgänger der Evolution, angesiedelt zwischen Biologie und Physik, bewundern lernen. Weil Mensch und Staub so eng miteinander leben, kommen Themengebiete wie Krieg, Geschichte und Ökologie ins Spiel; so erinnert Bitomsky an die „Dust Bowl“-Katastrophe der 1930er-Jahre in den USA, die ihrerseits wieder zu Kunst wurde – in der Fotografie, in Romanen und Filmen. „Ich hatte vorher keine Ahnung, wie viele Leute sich mit Staub beschäftigen“, erzählt eine Künstlerin, die eines Tages begann, sich für Staub zu interessieren – und heute mit einer Kollegin schrulligen Staub-Surrealismus malt oder Staubfänger kreiert, die theoretisch für 16.500 Jahre Staubgenerationen reichen müssten. Ob Gebäudereinigung, Wissenschaft, Kunst oder Science Fiction: Hat man „Staub“ gesehen, könnte man denken, die ganze menschliche Existenz, ja das ganze Universum kreise um den Staub. Sterne entstehen durch Staub, der Abriss von Gebäuden produziert Staubwolken: „Der Staub ist der Bodensatz der Schöpfung“, heißt es an einer Stelle, aber das scheint da schon eine Untertreibung. Und Hartmut Bitomsky wäre nicht Hartmut Bitomsky, fänden nicht auch ein Ausschnitt aus John Fords „Westlich St. Louis“ (fd 14 146) etwas Countrymusik und hintergründiger Humor den Weg in diesen Versuch, das nahezu Unsichtbare sichtbar zu machen. Irgendwann sieht man kurios vermummte Menschen beim Säubern eines Reinraums, dessen von Staub befreite Luft für die Produktion von Mikrochips und Kleinstmaschinen notwendig ist. Die Menschen, die hier fast meditativ ihrer Arbeit nachgehen, sind die Träger der neuer Verschmutzung. Bitomskys luzider Off-Kommentar arbeitet die Pointe seines Films anschaulich heraus: „Die Menschen sind hier unerwünscht. Ihre Anwesenheit gefährdet die Produktion.“ Um dann mit dem Blick auf diesen (fast) sterilen Arbeitsplatz zu sagen: „Noch ist dies nicht der letzte Arbeitsplatz. Aber er sieht jetzt schon so aus.“ Gegen diese Dystopie hilft nur ein Gang ins Kino, am besten in einen Western, wo sich die Menschen nach langen Ritten durch staubige Steppen nach etwas Wasser sehnen. Darüber ein blauer Himmel, aber der stammt nicht von John Ford, sondern von Hartmut Bitomsky. Staub – la lotta continua.
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